In Finnland ist Sisu fest in den Köpfen verankert: eine Lebenseinstellung, die einen schwierige und herausfordernde Zeiten meistern lassen. Was genau das ist und wie wir mehr davon zu uns bringen.
„Du hast eine Super-Kraft. Und in Finnland haben wir einen Namen dafür: Sisu! Es bedeutet Entschlossenheit und Mut. Du verfolgst deinen eigenen Weg. Du versucht es – auch wenn du dich festgefahren fühlst. Du gehst Herausforderungen an, Stück für Stück. Das ist ‚Sisu'“, beschreibt Finnin und Finland-Coach Varpu Rusila das Wort „Sisu“ auf YouTube.
Das Wort „Sisu“ lässt sich schwer ins Deutsche übersetzen. Will man es erklären, hilft vielmehr, das Konzept und Lebensgefühl dahinter zu umschreiben, um eine Vorstellung zu bekommen. Hartnäckigkeit, Entschlossenheit, Durchhaltevermögen oder Mut sind die deutschen Worte, die Sisu annähernd umschreiben. Nach Sisu zu leben, heißt: Ziele, die man erreichen möchte, zielstrebig und entschlossen zu verfolgen, in kleinen Schritten. Auch wenn es Widerstände zu überwinden gilt, gibt man nicht auf, sondern bleibt entschlossen und macht weiter. Sisu bedeutet auch: mutig sein und die eigene Komfortzone zu verlassen. Es beschreibt die innere Stärke und den Umgang mit kleinen und großen herausfordernden Aufgaben. Die gegebenen Umstände werden angenommen – selbst falls diese schwierig sind, versucht man das Beste aus der Situation zu machen.
„Sisu wird von den Finnen als Identitätsstiftend und erstrebenswerte Nationaleigenschaft angesehen. Jeder Finne und jede Finnin kennt diesen Begriff. Diese Überzeugung der inneren Stärke verhalf dem Land und den Menschen dazu, dort zu stehen wo sie heute sind. Das Land hat einen starken Innovationswillen aber auch eine ausgeprägte Achtsamkeit. Dies spiegelt sich im Umgang mit der Natur aber auch im Umgang der Menschen miteinander wider. In meinen Augen ist das der Grund, warum Finn:innen eine andere Arbeitsmentalität und auch andere Arbeitseinstellung als wir haben. Die nordischen Menschen haben eine handlungsorientierte, auf Vertrauen beruhende Entschlossenheit entwickelt“, meint Helena Schneider, selber halbe Finnin, die gerade zu genau diesem Thema ein Buch schreibt.
Sisu: Ein Wort mit Geschichte
Sisu hat eine lange Tradition in der finnischen Gesellschaft. Der Ursprung lässt sich wohl auch mit bedeutenden Krisen-Zeiten der finnischen Geschichte in Zusammenhang bringen – etwa mit dem Winterkrieg von 1939/40 zwischen Finnland und der Sowjetunion. Die finnischen Streitkräfte waren Russland weit unterlegen. Schon auf den ersten Blick ein verlorener Kampf – doch tatsächlich gelang Finnland das nahezu Unmögliche und konnte sich erfolgreich gegen Russland behaupten. Anfang des 20. Jahrhunderts begann man Sisu als typisch finnische mentale Eigenschaft zu verstehen. Es gilt bis heute als eines der charakteristischen Merkmale der finnischen Gesellschaft. Eine mentale Stärke, die während der langen, kalten und dunklen Winter in Finnland, hilft.
Sisu im Alltag
„Stell dir vor du willst noch einkaufen gehen und der Laden schließt in 10 Minuten. Dein Navigationsgerät zeigt dir an, dass du schon 15 Minuten brauchst, bis du den Supermarkt überhaupt erreichen würdest. Eigentlich ist das nicht zu schaffen“, beschreibt Finnland-Blogger Christopher Weiss auf seinem Blog „In Finland we have this thing called“. Viele Menschen würden in dieser Situation gar nicht erst loslaufen, weil es sinnlos und unmöglich erscheint. Die Person mit einem Sisu-Mindset läuft los. Ganz nach dem Motto: Es wird schon gut gehen; nur wer es versucht, kann auch gewinnen. Sisu bedeutet, auf dieses Beispiel bezogen nicht, dass du es auf alle Fälle noch schaffen wirst einzukaufen. Kommst du tatsächlich noch rechtzeitig: sehr gut! Wenn du zu spät kommst und der Supermarkt schon geschlossen hat: Du akzeptierst die Situation. Du nimmst deine negativen Gefühle an, aber lässt sie nicht Überhand nehmen – morgen gehst du einfach früher los.
Positives Denken trainieren
Im Podacst „Psychologie to go!“ beschäftigt sich Franca Cerutti in einigen Folgen mit Sisu und Resilienz. Sie meint: „Positives Denken kann man lernen.“ Sisu wird auch oft zusammen mit dem Begriff „Resilienz“ genannt. Resilienz ist die psychische Widerstandkraft und die Fähigkeit mit schwierigen Lebenssituationen umgehen zu können. Wie resilient ein Mensch ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zudem hat jeder Mensch andere Grundvoraussetzungen. Jedoch kann man grundsätzlich an seiner Fähigkeit arbeiten, positiv zu denken. Das bedeutet nicht, die negativen Gedanken komplett wegzuschieben. Aber man muss üben, die positiven Gedanken zu Wort kommen zu lassen. Gedanken spielen eine große Rolle wie wir uns fühlen. Wer ständig negativ denkt, fühlt sich zunehmend schlechter. Mit kleinen Übungen beginnen: Falls du dich das nächste Mal dabei erwischt, einen schlechten Gedanken zu haben, kannst du dich als kleine Übung, darauf konzentrieren, was gerade auch gut ist.
Gerade in Stress-Situationen helfen solche kleinen Übungen, denn: Bei Stress schaltet unser Hirn auf Alarmbereitschaft. Herzklopfen. Insulinausschüttung. Flache Atmung. Alles, um schnell reagieren zu können: Abwehr oder Flucht. Unser Präfrontale Cortex, das Vernunftzentrum, schaltet ab und lässt der Amygdala, dem Angst- und Gefühlszentrum das Steuer. In Gefahrensituationen ist das gut. Folgt dann aber keine Erholungsphase, werden wir immer ängstlicher und sehen vermehrt das Negative. Mit Sisu ist das anders: Die Rahmenbedingungen akzeptieren, das Beste daraus machen und sich nicht von negativen Emotionen überladen lassen: Das ist das Geheimnis – das wir mit kleinen Übungen, wie der oben genannten, für uns lüften können.
9 Tipps für mehr Sisu
1. Entdecke die Gelassenheit
Atme durch, versuche Abstand zu dem zu gewinnen, was dich gerade stresst – bevor du dich in etwas hineinsteigerst. Vielleicht ist ein kurzer Spaziergang oder ein bewusster Blick aus dem Fenster machbar.
2. Beharrlich bleiben
Hartnäckigkeit aufbauen: So kommt mehr Sisu ins Leben. Wie? Kräfteraubenden Gedanken wenig Platz schenken und sich darauf konzentrieren, was wirklich zählt.
3. Bleib dir selbst treu
Im Einklang mit deinen eigenen Werten zu handeln, ist essenziell. Authentizität lässt einen mit seinen Wurzeln in Verbindung stehen und die eigenen Bedürfnisse zufriedenstellend erfüllen.
4. Ziele setzen ist entscheidend
Fokussiert sein klappt nur, wenn man selbst weiß, für was man etwas macht. Aktiv sein, dafür eintreten, kaum oder gar nicht prokrastinieren: Das hilft.
5. Negatives in Positives umkehren
Um deine Resilienz zu stärken und gegen negative Gedanken anzukommen, gibt es einen Trick: Versuche einmal, jedem negativen Gedanken etwas Positives abzugewinnen. Auch wenn es nur eine kleine Sache ist. Bezogen auf das Supermarkt-Beispiel: Du hast dich auf den Weg gemacht, aber der Laden hat schon zu. Das Positive? Zumindest bist du schon ein paar Schritte gelaufen, vielleicht kannst du sogar noch einen kleinen Spaziergang machen, wo du schon mal draußen bist.
6. Auf dich selbst vertrauen
Sisu bedeutet, entschlossen und mutig zu handeln. Damit du das schaffst, musst du eine ordentliche Portion Selbstvertrauen mitbringen. Dieses kannst du schon durch kleine Dinge im Alltag stärken. Wer zum Beispiel regelmäßig Sport treibt, fühlt sich stärker und dadurch selbstbewusster. Nimm dir außerdem jeden Tag etwas Zeit für dich, in der du ungestört bist, höre in dich hinein, lerne dich und deine Gedanken besser kennen. Denn je besser du dich kennst, desto mehr kann du auf dich selbst vertrauen.
7. Aus Niederlagen lernen
Es läuft nicht immer alles rund, und das ist auch gut so. Denn anstatt dich von Niederlagen runterziehen zu lassen, kannst du sie als Chance sehen. Was kannst du es das nächste Mal besser machen? Was musst du ändern, um dein Ziel zu erreichen?
8. Entwickle Resilienz
Baue deine psychische Widerstandsfähigkeit auf. Akzeptiere, dass es Rückschläge geben wird, aber lass dich nicht von ihnen besiegen. Finde Wege, um nach Niederlagen wieder aufzustehen.
9. Feiere dich und deine Erfolge – egal, wie klein sie sind
Dies kann dir helfen, positiv gestimmt zu bleiben und deinen Fortschritt anzuerkennen.
Storytelling ist der rote Faden in seinem Leben. Stefan liebt Geschichten – und sie zu erzählen, oder besser: sie zu erleben, sie zu schreiben und damit für andere erlebbar zu machen. Geschichten hinter Menschen, Innovationen, Technik oder Architektur.