Weißt du, woher deine Kleidung kommt? Klar, steht ja auf dem kleinen Zettel. Wahrscheinlich Vietnam, China, Bangladesh oder neuerdings immer öfter auch ein Land auf dem afrikanischen Kontinent. Und was sagt dir das? Wenn man ehrlich ist, nicht viel.
Weißt du, wohin deine abgelegte Kleidung geht?
Klar, lobenswerterweise geben heute viele Ihre Kleider weiter oder verkaufen sie Second Hand. Aber: Irgendwann landet die Kleidung doch in der Tonne oder „im Sack“ – allein in Deutschland etwa eine Million Tonnen Kleider pro Jahr. Und dann?
Ein Teil wird zu Putzlappen, Füllstoff oder Dämmstoffen downgecycelt. Knapp die Hälfte wird in andere Länder verschifft, das sind etwa 5,5 kg pro Kopf der deutschen Bevölkerung. Pro Jahr. Ein Großteil davon landet in Afrika.
Dort wiederum sorgen unsere Altkleider allerdings nicht nur für Freudensprünge und eine Option, auf lokalen Second Hand-Märkten günstig einzukaufen, denn: Mit den konkurrenzlos billigen Altkleidern aus den Industrieländern konnte die heimische Textilindustrie nicht konkurrieren. Viele lokale Unternehmen – Hersteller wie traditionelle Händler mussten aufgeben. Stattdessen tummeln sich die Schnäppchenjäger nun auf so genannten „Mitumba-Märkten“, wo es die noch brauchbaren Teile für etwa 2 Euro pro Stück gibt.
Und: Etwa 30-40 Prozent von dem, was dort ankommt, ist Müll. Der findet sich allzu oft in der Umwelt wieder: An Stränden, am Straßenrand, und in Flüssen, von wo er ins Meer gespült wird. Polyester wird dort zu Mikroplastik und landet so letzten Endes wieder bei uns. Manche Menschen versuchen, die Kleiderberge durch Verbrennen zu reduzieren. So gelangt nicht nur schädliches CO2 in die Atmosphäre, sondern auch oft giftige Gase aus Kunstfasern und chemischen Färbemitteln in die Atemluft. Altkleider sind somit ein riesiges Umweltproblem in Afrika.
Um der Lage Herr zu werden, begann Ruanda ab 2016 damit, die Zölle auf importierte Altkleider drastisch zu erhöhen und Verbot die Einfuhr 2018 ganz. Dafür wurde das Land seinerseits von den USA durch Einfuhrzölle abgestraft. Die importierten „Spenden“ werden nicht nur in Ruanda als unfaire Konkurrenz angesehen, die der heimischen Wirtschaft schaden. Die Länder Ostafrikas wollen nicht mehr Baumwolle exportieren, die dann woanders zu Kleidung verarbeitet wird, und selbst in Resten versinken. Und inzwischen tut sich etwas:
Äthiopien ist dabei, zum neuen Zentrum der Textil- und Bekleidungsherstellung in Afrika aufzusteigen. Jährliche Exporte in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar sprechen da bereits für sich. Und das ist erst der Anfang, denn trotz zaghafter Ansätze von Kreislaufwirtschaft und einem Second Hand Boom in Europa, ist die Nachfrage nach Mode und Textilien dort in den letzten Jahrzehnten um 40 Prozent gestiegen.
Die Textilbranche ist in Äthiopien weiblich. Nicht nur, weil sich auch äthiopische Frauen gerne schick kleiden, sondern weil 80 Prozent der Arbeitnehmer:innen in der Textilbranche des Landes Frauen sind. Leider sind sie aufgrund ihres Geschlechts häufig mit Diskriminierung, unsicheren Arbeitsverhältnissen und niedriger Bezahlung konfrontiert.
Das Projekt für Fairness und Nachhaltigkeit: Bottom Up!
Das Projekt Bottom Up! arbeitet daran, genau das und noch mehr zu ändern. Es ist ein Kooperationsprojekt, 2019 ins Leben gerufen von der EU gemeinsam mit den drei NGOs Solidaridad, Ethical Trade Denmark und MVO Nederland. In 14 Unternehmen, darunter Baumwollfarmen, Spinnereien und Textilfabriken, profitieren inzwischen rund 19.200 Arbeiter:innen davon. Das Projekt setzt auf Nachhaltigkeit in allen Bereichen: Nicht nur schafft es verbesserte Arbeitsbedingungen in der Branche und vor allem für Frauen in Äthiopien, sondern es geht auch das Problem der Ressourcenverschwendung und fehlender Umweltstandards an. Denn: Die Textilbranche liegt auf Platz 4 der Sektoren mit dem negativsten Impact auf Umwelt und Klimawandel in der EU. Und da ist die Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung, für die Produktion außerhalb Europas in Kauf genommen werden, noch gar nicht eingerechnet.
Dazu muss ein Wandel in den Köpfen her, überall auf der Welt. Kalayu Gebru, Projektleiter bei Bottom Up! in Adis Abeba erzählt zum Beispiel etwas, das in Europa die wenigsten wissen: „Zu wenige Textilunternehmen kommen ihrer Verantwortung nach, sodass auf Grund der mangelnden Nachfrage noch immer drei Viertel der nachhaltig produzierten Baumwolle als konventionelle Baumwolle verkauft werden müssen.“ Um das zu ändern, liegt der eine Fokus bei Bottom Up! in Europa: Das Projekt arbeitet an mehr Transparenz in 175 EU-Unternehmen und langfristig Verbraucher:innen in den Niederlanden, Dänemark sowie Deutschland bei verantwortungsbewussten Kaufentscheidungen unterstützen – damit globale Lieferketten besser durchschaubar werden und nicht mehr nur der kleinste Preis oder die coolste Marke das attraktivste Shirt macht. Denn beides ist Gift für Umwelt und Sozialstandards.
Der andere Fokus liegt bei den Frauen in Äthiopien: „Unser Angebot an die Frauen umfasst unter anderem Capacity Building und Empowerment. Das Gender and Soft Skills Package klärt über ihre Rechte – und Pflichten – am Arbeitsplatz auf und zeigt Möglichkeiten auf, um für die eigenen Bedürfnisse einstehen“, erklärt Kalayu Gebru. Und auch die Hard Skills kommen nicht zu kurz: „Wir schulen Kleinbäuer:innen in landwirtschaftlichen Betrieben und arbeiten eng mit Vereinigungen von Baumwollfarmer:innen zusammen. Wir unterstützen beim Aufbau von Kapazitäten, bieten maßgeschneiderte Schulungen und technische Unterstützung an. Ebenso steht das Networking zum Wissens- und Erfahrungsaustausch und das Matchmaking innerhalb der Projektgruppe und mit Akteur:innen in der Branche im Fokus“, ergänzt Gebru.
Auf diese Weise konnten in nur drei Jahren bereits die Hälfte der am Projekt beteiligten Fabriken nach Sozialstandards wie WRAP und BSCI zertifiziert werden; mehr als ein Drittel arbeiten inzwischen auch nach Umweltstandards wie OeKO-Tex von STeP und ZDHC. Es ist ein kleiner Erfolg, gemessen an der weltweiten Textilproduktion. Aber ein großer für die Frauen in Äthiopien
Wer steckt dahinter?
Die Modeindustrie wandelt sich. Immer mehr Marken, Unternehmen und Organisationen sind nachhaltig und fair – wie zahlreiche Werbeplakate und Spots versprechen. Marketing-Sprüche oder wahre Worte? Diese drei Organisationen sind wirklich am Wandel in der Modeindustrie beteiligt.
Solidaridad Network …
… ist eine internationale zivilgesellschaftliche Organisation mit Hauptsitz in den Niederlanden und Büros in aller Welt. Seit 1969 unterstützt Solidaridad die Entwicklung sozial verantwortlicher, ökologisch einwandfreier und profitabler Lieferketten. Solidaridad möchte Produktionsweisen verändern, um profitable Geschäftsmöglichkeiten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu fördern – ohne die Umwelt zu zerstören.
Ethical Trade Denmark …
… ist eine dänische gemeinnützige Organisation, die seot 2008 die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen unterstützt, um einen verantwortungsbewussten Handel zu fördern.
MVO Nederland …
… ist das Kompetenzzentrum für über 2000 niederländische Betriebe, die sich für die soziale Verantwortung von Unternehmen einsetzen.
Vera schreibt für uns remote vom Tor zu Patagonien/Chile aus. Dort ist sie als echter Outdoor-Fan genau richtig: Ob im Urwald, auf Lavafeldern oder am Pazifikstrand, Vera hält immer Ausschau nach kleinen Naturschätzen, erstaunlichen Details und kreativen Ideen. Kein Wunder, dass sie bei uns am liebsten über Travel, Nachhaltigkeit und spannende Menschen schreibt.