Couscous ist mehr als nur Essen: kulinarische Völkerverständigung. Genau das erlebst du in der Couscous Bar von Samira und Nadia. Wir erzählen ihre Geschichte.
Die Zutaten für einen Geheimtipp
Man nehme: Eine der angesagtesten Straßen in einer der coolsten Städte Europas, aber trotzdem noch ein Geheimtipp – die Javastraat in Amsterdam. In dieser Ecke im Osten der Stadt findet man keine Touristenmassen, dafür aber eine lebendige Subkultur verschiedenster Einwanderergemeinschaften, die hier seit Generationen blüht. Einwohner mit türkischen, surinamischen, indonesischen, äthiopischen oder marokkanischen Wurzeln geben dem Viertel ein einzigartiges Flair, das nicht nur zwischen niederländisch und international, sondern auch zwischen althergebracht und Hipster-modern schwankt. Traditionelle Bäckereien, Metzgereien und kleine Läden gedeihen Seite an Seite mit hippen Bars und angesagten Cafés.
Dazu zwei energiegeladene, erfolgreiche Frauen: Nadia Zerouali nennt sich selbst „kulinarische Unternehmerin”, sie ist Autorin verschiedener Kochbücher zu arabischer und mediterraner Küche, in den Niederlanden bekannte TV-Köchin, schreibt regelmäßig in Magazinen und hat eine eigene Lebensmittelmarke geschaffen.
Samira Dahmani ist mitten in der Krise von 2008 mit einem Abschluss der ArtEZ Kunsthochschule auf widrige Umstände getroffen, ließ sie sich nicht unterkriegen und wurde kurzerhand zur Unternehmerin: Zuerst übernahm sie mit nur 26 Jahren eine Wellness-Oase. Da keine Bank einer so jungen Frau ohne jegliche Erfahrung einen Kredit geben wollte, griff sie auf Crowdfunding zurück, noch bevor das Konzept unter dem Namen offiziell bekannt war.
Dann gründete Samira einen Spa-Store und einen Unverpacktladen – ebenfalls lange bevor das trendy war. Daraus entstand später die Couscous Bar. Heute nennt Samira noch dazu ein Yogastudio ihr Eigen.
Die beiden Energiebündel Nadia und Samira sind Niederländerinnen mit marokkanischen Wurzeln, die beide schon als Kinder gern viele Stunden in der heimischen Küche verbrachten und dort ihren Mamas über die Schultern schauten.
Samira hat uns die Geschichte hinter der Couscous Bar erzählt:
Eine Geschichte von Töchtern, Müttern, Tradition, Business und Couscous
Die Couscous Bar geht auf Samiras Unverpacktladen „Strong Food“ zurück – und darauf, dass sie immer schon ihrer Zeit voraus war. Nachdem die Wellness-Oase sehr gut lief, wollte Samira dort nicht stoppen, sondern etwas Neues ausprobieren.
Samira erzählt: „Ich bin aus meinem Wellness-Business herausgewachsen. 2016 dachte ich, ich kann nicht nur das machen. Also eröffnete ich „Strong Food“, einen Unverpacktladen in der Javastraat. Die Javastraat war ein Viertel im Wandel und entwickelte sich sehr gut, aber noch nicht mit dem Konzept, das ich hatte. In diesem Jahr hatte ich zu kämpfen. Nadia war meine Kundin dort, und sie war ein großer Fan des Ladens.“
In der Zwischenzeit hatte sie begonnen, mit Strong Food gesundes Essen in Schulen zu bringen, und machte auch Couscous. Damals begann sie, über Mono-Business nachzudenken: Nur eine Sache zu machen, die aber richtig gut. Mit ihrer marokkanischen Herkunft ist Couscous ein sehr bedeutungsvolles Gericht. „Ich begann, mit Nadia über diese Idee zu sprechen, und sie gefiel ihr sehr gut. Anstatt also zu denken, dass mein Laden gescheitert war, wurden Nadia und ich Partner und verwandelten Strong Food in Couscous Bar“, so Samira weiter.
Seit Ende 2020 steht die Tradition des Couscous-Essens und seiner Herstellung auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes – eine gemeinsame Bewerbung von Marokko, Tunesien, Algerien und Mauretanien. Für Audrey Azoulay, Generaldirektorin der UNESCO ist das „ein starkes Zeichen kultureller Anerkennung. Es zeigt, dass kulturelles Erbe sowohl persönlich als auch außergewöhnlich sein und Grenzen überschreiten kann.“ Genau das machen Samira und Nadia in Amsterdam auch. Aber für sie steckt noch mehr als Völkerverständigung hinter ihrer Couscous Bar. Couscous weckt in ihnen viele persönliche Erinnerungen – an Feste, Geschichten, liebe Familienmitglieder und wichtige Momente.
Sie erzählt: „Couscous ist ein ganz besonderes Gericht. Wenn man ihn auf traditionelle Weise mit der Hand zubereitet, braucht man viel Zeit. In Marokko ist es Tradition, Couscous jeden Freitag oder zu besonderen Anlässen zu essen. Man kommt mit der Familie zusammen und isst aus einer großen Schüssel.“
Der Couscous aus dem Supermarkt, der in zwei Minuten gekocht ist, war für sie ein Problem: Sie wollten den Leuten zeigen, wie man dieses Gericht richtig zubereitet – und wie gut es dann schmecken kann. Nur wenn man den Couscous dünstet, wird er fluffig, und nur dann ist er gut.
Außerdem assoziieren viele Menschen in den Niederlanden Couscous eher mit Salaten als mit authentischem marokkanischem Essen, obwohl sich das langsam ändert. „Wir mussten also herausfinden, wie wir es richtig präsentieren können. Eine Sache, die dann schnell klar wurde, war: In der Küche würde es nur Mamas geben“, so Samira.
Mit diesem Konzept erreichten Samira und Nadia nicht nur, dass es in der Couscous Bar schmeckt wie zu Hause, sondern boten auch marokkanischen Mamas eine Chance auf ein eigenes Einkommen und eine Arbeit, bei der ihre Talente gebraucht wurden. „Viele marokkanische Mamas haben in den Niederlanden nie gearbeitet, weil ihnen die Qualifikation fehlte oder die Sprache“, sagt Samira.
„Wir haben mit meiner eigenen Mutter angefangen, sie hat die Rezepte gemacht. Am Anfang haben wir viel mit Nadia gearbeitet, weil sie das bekannte Gesicht ist, aber im Laufe der Zeit haben sich die Mütter so engagiert und so viel Talent gezeigt, dass wir ihnen eine Plattform geben wollten, auf der sie ihre Qualitäten zeigen und brillieren können.“
Das Erlebnis: Couscous essen ist mehr als Essen
Die einigende Macht von Mamas Couscous mischt sich nun in den Aromen, Düften, Farben und Klängen der Couscous Bar. Die besondere Mischung aus Tradition und Moderne macht diesen Ort zu einem Erlebnis für alle: Es gibt Slow Food, aber schnell serviert. Die Küche ist traditionell, aber die Einrichtung geradlinig und modern. Die Unterscheidung zwischen „Einwandererlokal“ versus „hip und trendy“ ist aufgehoben, die Couscous Bar ist ein integratives Restaurant.
Samira und Nadia mögen die Gründerinnen und Besitzerinnen sein, aber die „Couscous-Mamas“ sind die Herrinnen über die Rezepte: Sie entscheiden, was hineinkommt und messen eher mit dem Maß der Erfahrung als mit der Waage ab – genau wie zu Hause. Deswegen schmeckt es auch jeden Tag anders. Samira:
„Es geht um unser Erbe und darum, dass in dem Essen unserer Mütter etwas Wichtiges von unserer Lebensweise steckt. Sie kochen so, wie sie zu Hause kochen, nicht wie ein Chef. Sie sind es gewohnt, für viele Menschen zu kochen, und es macht ihnen Spaß. Das ist ein anderes Gefühl, als wenn man einen Chef hat. Wenn die Leute reinkommen und die Mütter in der Küche sehen, denken sie an ihre eigenen Mütter, das hat etwas Magisches.“
Die Mamas bereiten fünf verschiedene Couscous-Sorten zu, von Perlen-Couscous bis glutenfrei auf Quinoa-Basis, selbstverständlich nach hauseigenem Rezept. Für „Couscous-Neulinge“ oder Menschen, die sich nicht zwischen den traditionellen Gerichten entscheiden können, gibt es die Option, sich mit verschiedenen Fleisch- und Gemüsesorten und den Toppings ein eigenes Gericht zusammenzustellen.
„Wenn man es einmal gegessen hat, kommt man wieder, weil es so gut ist und man so viele Möglichkeiten hat. Die Basis ist vegan, aber man kann Fleisch oder Hühnchen hinzufügen und mit einer Vielzahl von Toppings wie Oliven, Rosinen, karamellisierten Zwiebeln und so weiter kann man so viel Geschmack kreieren“, schwärmt Samira.
Aus diesem Grund wirst du in der Couscous Bar viele verschiedene Gäste treffen: Niederländer, die etwas Neues probieren wollen; Expats, die Qualität wertschätzen; Singles, die gern gesund essen, aber für sich allein nicht so viele verschiedene Gemüsesorten schnibbeln möchten und daher regelmäßig kommen; und auch Menschen mit marokkanischem Hintergrund. „Das ist ein Kompliment“, so Samira, „denn sie wissen, wie es schmecken muss. Unsere Gäste kommen nicht mit ihrer Kamera hinein und stellen das dann auf Instagram oder Tripadvisor. Wir sind keine Hipster“, lacht sie dann.
„Aber wenn die Leute wiederkommen, ist das das größte Kompliment. Wir wollen, dass die ganzen Niederlande Couscous essen.“
Der Anfang ist gemacht: Seit 2021 gibt es eine Filiale in Amsterdam-West. Doch die findige Unternehmerin denkt noch weiter: „Wenn es in Deutschland jemanden gibt, der ein Couscous Bar Franchise eröffnen möchte, kann er oder sie sich gerne melden. Du musst keine marokkanische Abstammung haben, aber mindestens eine Person mit marokkanischem Hintergrund im Team haben“, lacht sie.
Was du noch nicht über Couscous wusstest
Was für Deutschland Kartoffeln oder Nudeln sind, ist für Nordafrika Couscous: eines der beliebtesten Grundnahrungsmittel. Fünf Fakten über Couscous, die du vielleicht noch nicht kennst:
1. Zubereitung
Couscous wird traditionell in viel Handarbeit aus Weizen hergestellt – es gibt ihn aber auch aus Gerste, Dinkel oder Hirse. Aus Getreide wird zunächst Grieß gemacht. Diesen befeuchtet man mit Salzwasser. So entstehen kleine Klümpchen, die dann zerrieben werden. Daher kommt das Wort Couscous: Das arabische Wort Couscous bedeutet „Zerreiben“.
2. Dämpfen
Das Dämpfen des Couscous geschieht traditionell in der Couscousière, einem zweiteiligen Topf: Unten kocht das Gemüse und andere Zutaten, darüber kommt der Couscous in einen Aufsatz. Durch den Dampf, der von unten aufsteigt, wird er langsam gegart.
3. Morgens, mittags, abends
Couscous kann man von früh bis spät essen: Als süßes Frühstück mit Rosinen, Nüssen oder Zimt; als Beilage beim Mittagessen zu Fisch oder Fleisch; als Hauptkomponente des Mittagessens mit Gemüse und vielen Gewürzen; als kaltes Abendessen als Salat.
4. Ballaststoffreich
Couscous enthält weniger Kalorien als Nudeln oder Reis. Viele Ballaststoffe und viel Eiweiß, Mineralien wie Kalium und Magnesium und vor allem Vitamin B3 machen Couscous zu einer guten Option für eine gesunde Ernährung. Am gesündesten ist Vollkorn-Couscous.
5. Zubereitung
Couscous enthält viel Selen. Dieser Mineralstoff wirkt entzündungshemmend, senkt das Krebsrisiko und ist wichtig für die Funktion der Schilddrüse.
6. Couscous Festival
Jedes Jahr im September findet in San Vito Lo Capo auf Sizilien (nordwestlich) das Cous-Cous-Festival statt. Hier treffen sich zahlreiche internationale Köche und Liebhaber dieser Speise. Die Besucher des Festivals können die Produkte probieren, während die Köche an einem Wettbewerb teilnehmen. Es werden Tanzshows organisiert. Jongleure treten auf. Man nimmt an einer Weinkostprobe teil. Eintritt: 10 Euro.
Vera schreibt für uns remote vom Tor zu Patagonien/Chile aus. Dort ist sie als echter Outdoor-Fan genau richtig: Ob im Urwald, auf Lavafeldern oder am Pazifikstrand, Vera hält immer Ausschau nach kleinen Naturschätzen, erstaunlichen Details und kreativen Ideen. Kein Wunder, dass sie bei uns am liebsten über Travel, Nachhaltigkeit und spannende Menschen schreibt.