Kaum hast du frei, wirst du krank? Kein Wunder: Unser Immunsystem hinkt noch immer unserem heutigen Leben hinterher. Wie wir dennoch gut für uns sorgen können, weiß Psychologin Dr. Lucy Maddox.
Hast du mal gezählt, wie viele Bälle du zeitgleich in der Luft hältst? Viele Menschen sind im Alltag wahre Jongleure: Sie arbeiten hart, multitasken sich durch die Wochen – und freuen sich dementsprechend auf eine Pause. Aber wie oft kommt es vor, dass wir kurz vor dem langen Wochenende oder dem heiß ersehnten Urlaub mit Halsschmerzen aufwachen oder zu niesen beginnen? Warum werden wir immer wieder dann krank, wenn wir eine Pause einlegen?
Kavita Vedhara, Professorin für Gesundheitspsychologie, untersucht an der Universität von Nottingham die Beziehung zwischen Stress, dem menschlichen Immunsystem und unseren Gedanken und Gefühlen. „Das Immunsystem ist sehr primitiv“, sagt Kavita. „Dasselbe System, das uns heute hilft, Erkältungen abzuwehren, haben wir bereits vor Millionen von Jahren entwickelt. Es hat sich in einer Zeit gebildet, in der Säbelzahntiger für Menschen eine potentielle Gefahr waren. In solchen Situationen musste man schnell rennen, kämpfen oder sich tot stellen, um zu überleben. Das Immunsystem hat sich also so entwickelt, dass es alles andere ausschaltet, um in der Lage zu sein, sich auf Kampf oder Flucht einzulassen. Das Problem ist, dass unser Stress heutzutage viel länger anhält. Es geht nicht mehr um den einen Moment, in dem wir vor dem Feind fliehen oder ihn bekämpfen müssen.
Im Urlaub werden wir krank? Das hat einen guten Grund
Unsere heutigen Säbelzahntiger sind chronische Belastungen. Dazu zählen Arbeitsdruck, ungesunde Beziehungen oder finanzielle Sorgen. „Die Schwierigkeit besteht darin“, sagt Kavita Vedhara, „dass diese Stressreaktionen über längere Zeit eingeschaltet bleiben, so dass der Körper ständig mit Stresshormonen wie Cortisol überschwemmt wird, die direkt mit dem Immunsystem kommunizieren und dessen Funktionsweise regulieren können. In den meisten Fällen führt dies zu einer Verringerung der Immunüberwachung, wenn wir unter Stress stehen“. Das Immunsystem ist also in besonders fordernden Zeiten nicht in der Lage, die unzähligen Dinge und Situationen, denen wir täglich begegnen, wachsam und effektiv zu bekämpfen.
Erst wenn der Stress aufhört oder nachlässt, kann sich das Immunsystem erholen: „Und dann reagiert es auf all die Keime, denen man in dieser Zeit begegnet ist und die es nun ausmerzen muss. Und, Bingo! Schon sind die körperlichen Symptome da“, erklärt Kavita. Wenn wir also nach einer Stressphase krank werden, könnte dies darauf zurückzuführen sein, dass das Immunsystem versucht, die kleinen Infektionen, die wir uns unbemerkt eingefangen haben, zu beseitigen. Was wir als Krankheitssymptome empfinden – zum Beispiel Halsschmerzen oder hohes Fieber – könnten stattdessen als Anzeichen für die Aktivität des Immunsystems betrachtet werden.
Ironischerweise erkrankte ich, während ich diesen Artikel schrieb, an einer Grippe. Keine, die sich mehr wie eine schlimme Erkältung anfühlt, sondern eine echte, böse, unangenehme Variante. Und ich glaube, einer der Gründe, warum es mich so schlimm erwischt hat, war, dass ich zuvor genau das Gegenteil von dem tat, was ich hier empfehle: Ich hatte eine schlimme Erkältung und habe versucht, sie zu ignorieren. Das ging dann gewaltig nach hinten los.
Wichtig: Höre auf deinen Körper!
Werden wir krank, sendet unser Körper uns verschiedene Signale, mit denen er uns sagen will, dass er eine Pause braucht. Diese Symptome sind ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem gerade arbeitet. Und eigentlich wissen wir es selbst: Es ist klug, sich eher früher als später auszuruhen, denn dann werden wir uns auch schneller erholen. Hören wir nicht auf die Zeichen des Körpers, ist Ärger vorprogrammiert.
Was aber können wir tun, um nicht jedes Mal krank zu werden, sobald wir eine Pause machen? Würde es helfen, wenn wir in der übrigen Zeit einen Gang runterschalten? Kavita ist sich nicht sicher: „Ich denke, dass es für manche Menschen gut ist, eine Zeit lang intensiv zu arbeiten und dann eine Auszeit zu nehmen, denn so hat man wenigstens eine Erholungszeit.“ Klar: Ein bisschen Erholung ist besser als gar keine! Eine Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass wir auf vieles, was stressig ist, keinen Einfluss haben. Wir können nicht steuern, wann unsere Arbeit uns einen Konflikt bescheren oder wann im Privatleben etwas emotional belastendes passieren wird. Doch auch wenn der Stress nicht vermeidbar ist und wir das Ausmaß der Herausforderungen nicht bestimmen können, so können wir dennoch Zeit für schöne Dinge einplanen.
„Es gibt Belege dafür, dass das Erleben einer positiven Stimmung während einer Phase stressiger Erlebnisse sehr unterstützend ist“, sagt Kavita. „Finde also Dinge, die dir Freude bereiten und sorge dafür, dass einige davon regelmäßig in deinem Leben vorkommen.“ Dies könnte den Kontrast zwischen unseren „hochtourigen“ Phasen und unseren Ruhezeiten verringern. Wenn es innerhalb unseres Stresses bestimmte Elemente gibt, auf die wir Einfluss nehmen können, dann lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob wir dazu bereit sind, sie zu verändern. Liegt der Stress darin, dass wir zu viel zu tun haben, so lautet die Frage: Wo können wir etwas reduzieren? Würde es helfen, im Terminkalender Zeitfenster zu reservieren, in denen wir nichts tun – und diese Zeit wie eine Verabredung mit uns selbst betrachten? Wenn es etwas Größeres ist, das den Stress auslöst – zum Beispiel unser Job oder eine belastende Beziehung, dann kann es helfen, mit vertrauten Personen darüber zu sprechen. Möglicherweise gibt es kleine Schritte, die zur Veränderung der Situation beitragen könnten?
Immer hilfreich: den Alltag entspannen
Es ist grundsätzlich immer hilfreich, Zeit für Entspannung und Ruhe einzuplanen. Die Kampf-oder Flucht-Reaktion – auch als fight-or-flight response bekannt – ist nicht das einzige System in unserem Körper. Unser Ruhe- und Erholungssystem ist ebenso wichtig. Diese Funktion wird aktiviert, wenn wir beruhigende, besänftigende Dinge tun oder Zeit mit geliebten Menschen verbringen. Es ist daher wichtig, dass wir im Alltag aktiv Dinge einplanen, die uns beruhigen oder das Gefühl der Verbundenheit vermitteln. Das kann eine Yogaklasse sein, ein Massagetermin, ein Spaziergang in der Natur oder ein Abend mit lieben Freund*innen.
Manchmal besteht die Gefahr, dass wir uns durch Freizeitaktivitäten zusätzlich gestresst fühlen. Doch wenn wir bereits ein oder zwei Wochen zuvor bewusst Aktivitäten einplanen, die wir wirklich mögen und uns vornehmen, Menschen zu sehen, die wir lieben, dann zahlt sich das definitiv aus. Wir merken dadurch, dass wir mehr Kontrolle über unser Leben haben, als wir denken. Wichtig ist dabei, dass wir auch Zeit einplanen, in der wir uns einfach nur ausruhen – wie auch immer das individuell aussehen mag. Und wenn wir uns außerdem angewöhnen, Halsschmerzen nicht mehr zu ignorieren, sondern sie als Signal zu verstehen, dann wird unser Körper von uns das bekommen, was er braucht.
Sofort weniger Stress? 4 schnelle Tipps zum Stress Reduzieren
Tipp 1 – die richtigen Fragen stellen
Fühlst du dich sehr gestresst, dann frage dich: Welche Aspekte des Stresses kann ich gerade selbst verändern? Gehe lösungsorientiert vor und konzentriere dich auf diese Anteile des großen Ganzen.
Tipp 2 – kleine Belohnungen
Baue auch dann kleine Belohnungen ein, wenn deine Tage eng getaktet sind. Es kann etwas schnelles sein – eine kurze Runde durch den Park, eine Tasse Kaffee mit Blick aus dem Fenster. Stelle sicher, dass du jeden Tag ein kleines Highlight integrierst.
Tipp 3 – Auszeit, wenn dein Körper es verlangt
Höre auf die Signale deines Körpers, wenn er nach einer Pause verlangt. Dass dein Immunsystem verlässlich arbeitet, ist nämlich ein gutes Zeichen, dem du folgen solltest.
Tipp 4 – planvoll Spaß haben
Nehme dir Zeit zum Innezuhalten. Plane im Voraus bewusst und gezielt sowohl schöne Aktivitäten als auch Auszeiten ein.
Dr. Lucy Maddox ist klinische Psychologin, Beraterin und Autorin in Bristol. Folge ihr auf Instagram @drlucymaddox oder bei Twitter @lucy_maddox