Sie bahnen sich ihren Weg, zwischen Ritzen im Beton, am Rand der Straße, auf abgelegenen Wiesen. Wildkräuter sind Kraftpakete. In ihnen steckt die Kraft der Natur. Wir erzählen, was du über sie wissen musst –wie du sie dir nach Hause holst und was das alles mit einem Hund zu tun hat.
Marlies hellbraunes Fell fliegt im Wind hin und her als sie über das Tempelhofer Feld in Berlin prescht. Die Mischlingshündin kam von den Straßen Siziliens mit acht Monaten nach Deutschland. Seit rund vier Jahren lebt sie nun in der Hauptstadt. In der Zeit hat sie Karriere gemacht: Sie ist Deutschlands erste Kräuterspürhündin. Diesen Titel haben ihr ihre Besitzer Thorben und Annika verliehen. Die wilden Pflanzen nutzen die beiden für ihr Berliner Start-up „kruut“. Damit wollen sie das Image heimischer Wildkräuter aufpolieren. „Jeder weiß, wo im Supermarkt die Chiasamen stehen, aber keiner, wofür die Brennnessel alles gut ist. Das geht so nicht“, sagt Annika. Von ihren Großeltern haben die beiden gelernt, wie wertvoll die wilden Pflanzen sind. Annikas Großmutter hat die Wildpflanzen in ihrem plattdeutschen Dialekt als ‚kruut‘ bezeichnet. Daher leitet sich auch der Name des Start-ups ab.
Wilde Kräuter haben heilende Kräfte
Früher haben die Menschen ‚kruut‘ noch als Nahrungsquelle und Medizin zu schätzen gewusst. Zwischen gezüchteten Zierpflanzen und kultiviertem Gemüse ist dieses Wissen in Vergessenheit geraten. Wilde Kräuter werden oft als Schädlinge abgestempelt und entfernt. Doch als ursprüngliche Pflanze, die der Mensch nie künstlich verändert hat, enthält jedes wilde Kraut weit mehr Vitamine und Mineralstoffe als vergleichbare Kulturformen. Als Heilpflanzen können wilde Kräuter zudem äußerliche und innerliche Krankheiten lindern.
Ihre heilende Wirkung haben sie vor allem drei Inhaltsstoffen zu verdanken: den Gerbstoffen, den Bitterstoffen und den ätherischen Ölen. Gerbstoffe hemmen Entzündungen, neutralisieren Gifte und vertreiben Bakterien und Viren. Bitterstoffe sorgen für eine gute Verdauung und eine gesunde Leber. Auch ätherische Öle haben positive Effekte auf das Verdauungssystem, außerdem wirken sie schleimlösend im Bereich der Atemwege.
Das Wissen um die wilden Kräuter ist jahrtausendealt
Verarbeitet zu Tinkturen und Pulvern waren Wildkräuter bereits vor rund 3.000 Jahren bei den alten Griechen fester Bestandteil in der Medizin. Aus dieser Zeit stammt auch das ‚Oxymel‘ – eine Tinktur, die aus rohem Honig, naturtrübem Apfelessig und einer Auswahl heimischer Wildkräuter hergestellt wird. Der Name setzt sich aus den griechischen Begriffen ‚oxy‘ für sauer und ‚meli‘ für Honig zusammen. Dafür werden die Blätter, Blüten, Wurzeln und Früchte der Kräuter gewogen und zerkleinert. Anschließend liegen sie für mehrere Wochen in Apfelessig und Blütenhonig ein. Dieser Vorgang nennt sich Mazeration. Dabei extrahieren sich die Aromen und Inhaltsstoffe der Kräuter. „So gehen die gesunden, vitaminreichen, Chlorophyllhaltigen Wirkstoffe der Kräuter in die Tinktur über“, sagt Thorben.
Das Ergebnis ist ein intensiver Kräuterauszug. Nur ein Esslöffel, vermischt mit einem Glas Wasser reicht aus, um dem Immunsystem und dem Stoffwechsel einen pflanzlichen Booster zu verpassen. Außerdem hat der Trunk verdauungsfördernde, desinfizierende, antibakterielle sowie wundheilende Eigenschaften.
Wildkräuter sammeln – im Einklang mit der Natur
Die Kraft der Kräuter kannst du dir auch selbst nach Hause holen. Denn wilde Pflanzen wachsen direkt vor deiner Haustür. Beim Sammeln stellst du eine besondere Verbindung zur Natur her. Die Suche spricht alle deine Sinne an: Um die richtige Pflanze zu identifizieren, musst du sie dir genau ansehen, an ihr riechen, sie anfassen. Wichtig ist, dabei achtsam mit der Natur umzugehen. Sammle immer nur so viele wilde Kräuter, wie du verbrauchen kannst. Reiße die Kräuter nie mit der Wurzel aus dem Boden, sondern schneide sie mit einem Messer ab. So können die Pflanzen wieder nachwachsen.
Und sammle nur das, was du wirklich kennst. Denn bei vielen Wildpflanzen besteht die Verwechslungsgefahr mit giftigen Doppelgängern. Der essbare Bärlauch sieht zum Beispiel den giftigen Herbstzeitlosen, Maiglöckchen oder Aronstäben zum Verwechseln ähnlich. Hier musst du im wahrsten Sinne des Wortes den richtigen Riecher haben: Denn im Gegensatz zum Bärlauch riechen seine giftigen Doppelgänger nicht nach Knoblauch.
Wenn du dir noch unsicher bist, kannst du dich einer geführten Kräuterwanderung anschließen.
Wilde Kräuter – wilde Küche
Einmal gesammelt, lassen sich Wildkräuter wunderbar in unseren Speiseplan intergieren. Sie überzeugen als knackige Salate, aufgegossen als Tees oder verarbeitet zu Pestos, Suppen und Aufstrichen. Dabei schmecken sie nicht nur lecker, sondern bieten sich auch als vitaminreichere Alternativen zu kultiviertem Gemüse an. Hier eine kleine Auswahl.
Brennnessel – Alternative zu Spinat
Das wilde Kraut ist eine wertvolle Heilpflanze. Stängel, Blüten, Blätter und Samen der Brennnessel sind essbar. Die gekochten Blätter erinnern in Geschmack und Konsistenz an Spinat. Im Vergleich zu dem Gemüse liefert uns die Brennnessel aber sechsmal so viel Vitamin C. Auch im Eisengehalt steht sie dem Spinat in nichts nach. Außerdem stärkt die Brennnessel das Immunsystem und senkt den Blutdruck, denn sie hat eine entspannende Wirkung auf die Blutgefäße. Brennnesseltee eignet sich auch zur Hautpflege. Als Gesichtswasser reinigt er die Haut und hilft bei Pickeln und Akne.
Wiesen-Bärenklau – Von Spargel bis Brokkoli
Zu seiner Blütezeit im Sommer ist der Wiesen-Bärenklau mit einer Höhe von bis zu 1,5 Metern kaum zu übersehen. Er hat einen kantigen, roten Stängel und weiße Blüten, die wie kleine Teller angeordnet sind. Die Form der Blätter erinnert an die Tatze eines Bären, so kam die Pflanze zu ihrem Namen. Die geschälten Stängel schmecken ähnlich wie Spargel. Die Knospen kannst du wie Brokkoli zubereiten. Außerdem ist Wiesen-Bärenklau voll von ätherischen Ölen und schafft als Tee Linderung bei Husten oder Atemwegsbeschwerden.
Löwenzahn – Perfekt für wilde Salate
Die Pflanze mit den gelben Blüten gehört zu den bekanntesten Wildkräutern. Nach der Blüte verwandelt sich der Löwenzahn in eine Pusteblume. Seine Samen lassen sich wie kleine Fallschirme durch die Luft pusten. In Europa ist er schon seit dem 16. Jahrhundert als Heilpflanze bekannt. Er ist reich an Mineralien wie Kalium, Calcium, Natrium und Schwefel. Die gesamte Pflanze ist essbar, die leicht herben Blüten und Blätter eignen sich als vitaminreiche Alternative zum Kopfsalat. Denn Löwenzahl enthält 40-mal so viel Vitamin A wie kultiviertes Gemüse.
Giersch – Die wilde Petersilie
Dieses Wildkraut ist auch unter dem Namen ‚Geißkraut‘ oder ‚Geißfuß‘ bekannt, weil ihre Blätter einem Ziegenfuß ähneln. Die beste Sammelzeit ist von März bis Juli, wenn die Blätter gelbgrün und glänzend sind. Als Wildgemüse wurde Giersch schon in der Steinzeit gegessen. Römische Soldaten nutzten ihn als Stärkung, auch im Mittelalter galt Giersch als eine der wichtigsten Gemüsepflanzen. Giersch ist eine Vitaminbombe. Er enthält viermal so viel Vitamin C wie eine Zitrone, darüber hinaus sind Kalium, Magnesium, Calcium, Mangan, Kupfer, Zink, Karotin, Kieselsäure und Eisen in größeren Mengen vorhanden. Giersch wirkt entgiftend, entsäuert den Körper und kurbelt den Stoffwechsel an. Die Stiehle sind nicht essbar, aus den Blättern lassen sich aber leckere Salate, Tees oder Pesto zaubern. Im Geschmack ähnelt Giersch der Petersilie, weist aber doppelt so viel Vitamin C wie das Küchenkraut auf.
Tipps zur Aufbewahrung deiner wilden Kräuter
Frisch verarbeitet beinhalten Wildkräuter die meisten Nährstoffe. Kannst du nicht all deine wilden Schätze sofort verbrauchen, lassen sich die Pflanzen mit einigen Handgriffen aber auch haltbar machen. Hier ein paar Tipps, mit denen du lange Freude an deinen Wildkräutern hast.
Tipp 1 – Aufbewahrung im Kühlschrank
Empfindliche Kräuter wie Kerbel, Pfefferminze, Dill, Schnittlauch, Zitronenmelisse und Liebstöckel halten sich im Kühlschrank bis zu fünf Tage. Robustere Kräuter wie Rosmarin, Salbei und Thymian schaffen sogar bis zu zehn. Am besten legst du eine Brotdose mit feuchtem Küchenpapier oder einem feuchten Küchenhandtuch aus. Darauf breitest du dann deine Kräuter aus, verschließt den Deckel und stellst die Dose ins Gemüsefach.
Tipp 2 – Ab in die Gefriertruhe
Eingefroren halten sich Wildkräuter bis zu ein Jahr. Schneide dazu die Blüten und Stängel der Pflanzen klein und gebe sie in einen Gefrierbeutel. Diesen füllst du anschließend mit Wasser auf und legst das Ganze dann ins Gefrierfach.
Tipp 3 – Trocknen lassen
Die älteste Methode zur Aufbewahrung ist das Trocknen der Kräuter. Pflanzen mit kleinen Blättern wie Thymian sollten im Bündel aufgehangen, kopfüber trocknen. Kräuter mit großen Blättern wie Minze trocknen am besten ohne den Stängel, abgedeckt mit einem Baumwolltuch. Nutze zum Trocknen einen warmen, dunklen und luftigen Ort. Die großen Blätter brauchen in etwa eine Woche, bis sie trocken sind, die Bündel mit den kleineren Blättern rund zwei. In einem luftdicht verschließbaren Glas sind die wilden Kräuter so bis zu zwei Jahre haltbar.
Tipp 4 – Zerkleinern zu Powerpulver
Die getrockneten Kräuter kannst du auch in einen Mixer geben und zu einem Pulver zerkleinern. Das kannst du zum Beispiel als Topping auf Müslis streuen oder in deinen Smoothie mischen. So lassen sich die wilden Superfoods unkompliziert in deinen Alltag integrieren.
Katrin hat in Berlin Publizistik studiert und schreibt seit drei Jahren als Redakteurin im Lifestyle-Bereich. Wenn sie nicht gerade die weite Welt bereist, übt Katrin Kopfstand auf ihrer Yogamatte, oder ist auf der Suche nach den neuesten Innovationen und Health-Trends. Deshalb schreibt sie bei kronendach für die Rubriken Travel, Mindfulness und Zeitgeist. Nach Feierabend findet man sie meistens mit einer Matcha Latte in der Hand durch die Straßen Hamburgs spazieren.