Stille tut gut – jedenfalls theoretisch. Praktisch entziehen wir ihr uns gern mal im Alltag und blicken lieber auf Smartphone, Tablet und Co. Doch warum ist das so und wie viel Stille benötigen wir, um unseren Geist und Körper auszuruhen?
Ein Raum, in dem man Ruhe hören kann
Eine so intensive Stille, dass man die eigenen Organe hört? Kaum vorstellbar, aber Realität. Jedenfalls im Anechoic Chamber von Microsoft, zu Deutsch „echofreie Kammer“. Laut Guinness Buch der Rekorde ist das der leiseste Raum der Welt – in dem dennoch nahezu niemand ausgeruht ist.
In Redmond nahe der Stadt Seattle ist die Zentrale von Microsoft. Auf dem Gelände befinden sich neben Shopping-Mall und Sportplätzen auch mehr als 20 Audio Labs – ein ganz besonderes davon im Building 87: Hinter den Mauern verbirgt sich Anechoic Chamber. Der Raum, dessen Fundament auf Federn sitzt, wurde mit Schaumstoffkeilen an Wänden, Decken und unter dem Metallnetz-Fußboden präpariert. Betritt man die Kammer und schließt die zwei Türen, sind die Klänge der Außenwelt ausgesperrt – wirklich alle. Es ist so still, dass man die Geräusche des eigenen Körpers viel intensiver wahrnimmt. Das Knirschen der Gelenke bei jeder Bewegung; das Blutrauschen, das unaufhörlich in den Ohren klingt; das Pochen des Herzens. Im Raum werden die lebenserhaltenden Funktionen des Körpers, also man selbst, zur Geräuschkulisse. Die eigene Stimme klingt dumpf, als ob jedes Wort sofort zu Boden fallen würde. Die räumliche Wahrnehmung wird durch den fehlenden Schall auf den Kopf gestellt. Es ist ein Zustand, dem nur wenige standhalten – Gelassenheit und Erholung? Meist Fehlanzeige. Tatsächlich ist der Anechoic Chamber so schallisoliert, dass eine messbare Stille von Minus 20.6 Dezibel herrscht. Damit kann man ihn als „schalltot“ bezeichnen. Nur diese Ruhe erlaubt, dass der Mensch überhaupt seine Organe so deutlich wahrnehmen kann, denn die menschliche Hörschwelle liegt bei null Dezibel. Doch der schalltote Raum erfüllt natürlich nicht den Zweck, den eigenen Organen zu lauschen, oder sich auszuruhen. Microsoft hat ihn erschaffen, um Produkte akustischen zu testen und entsprechend neue Generationen im Klang zu optimieren. Dazu gehört auch das Zuklappen eines Notebooks und die Beschaffenheit von Mikrofon und Lautsprecher. So still Anechoic Chamber physikalisch auch sein mag, praktisch gesehen ist er für den Menschen im Raum niemals geräuschlos. So gibt die fremde Akustik eher ein Gefühl des Unwohlseins als innere Ruhe.
Stille nimmt Stress – das liegt in unserer DNA
Die Wissenschaft ist sich einig: Ruhe kann Stress reduzieren – jedenfalls wenn man nicht gerade mit überlauten Klängen des eigenen Körpers konfrontiert wird. Das ist auch kaum verwunderlich, wenn man sich einmal das Leben unserer ältesten Vorfahren anschaut. Damals war Lärm gleichbedeutend mit Gefahr, denn im Gegensatz zu allen anderen Dingen im alltäglichen Leben waren nur bedrohliche Naturphänomene oder Tiere laut. So ist es kaum verwunderlich, dass bei Lärm Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet werden. Die Abwesenheit von akustischen Außenreizen hemmt diese Hormonproduktion und bereichert so auch die körperliche Gesundheit: Denn laute Dinge begünstigen stressbedingte psychische und physische Erkrankungen wie Burn-out, Depressionen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Migräne, Verdauungs- und Schlafstörungen.
„Stille Menschen haben die lautesten Gedanken.“
Weise Worte von Stephen Hawking: Beim Zustand der akustischen als auch physischen Ruhe wird statt der Stresshormone der „Default Mode Network“ aktiv, eine Gruppe von Hirnregionen. Dieses Netzwerk unterstützt uns bei der Selbstreflexion sowie kreativen Gedankengängen und gibt anderen Hirnarealen Raum, aufgenommene Informationen und Reize zu verarbeiten. Sprich: „Nichtstun“ erholt, entspannt und schafft innere Zufriedenheit, während unser Gehirn „aufräumt“ und Informationen einordnet. Oft haben wir in einem solchen Moment der Ruhe inspirierende Ideen oder wie Stephen Hawking sagen würde „laute Gedanken“.
Wenn Ruhe zur Konfrontation wird
Gelassenheit und Inspiration in einem durch Ausruhen: Klingt vielversprechend? Ist es auch! Allerdings führen akustische und körperliche Stille bei uns oftmals zu Unruhezuständen. Obwohl wir durch die tägliche Reizüberflutung Ruhe dringend bräuchten, gehen wir ihr tendenziell aus dem Weg. Manche Menschen können Lautlosigkeit sogar kaum aushalten. Aber wieso eigentlich? Der Alltag kostet uns Energie. Die ständige Beschallung, die andauernd erbrachte Leistung, das ständige Up-to-date-sein durch Social Media und News aus dem Netz: Am Tagesende können einige von uns schlecht abschalten und sich von belastenden Gedanken lösen. Stille treibt das Gedankenkarussell und Selbstreflexion an. Doch oftmals möchten wir uns einer Auseinandersetzung damit entziehen. Stattdessen suchen wir Ablenkung in Hörbüchern, Serien, Social Media Clips – also in weiterer Beschallung und noch mehr Informationen. Auch wenn wir glauben, dass wir uns so ausruhen und Erholung finden, strengt es uns in Wirklichkeit an. Unser Gehirn und der restliche Körper braucht genau an Tagen der Reizüberflutung die Ruhe, um Erholung und Gelassenheit zu erfahren.
Mit Stille zu mehr Achtsamkeit
Stress vermeiden und Ruhe genießen – das will gelernt sein. Zeit, Geduld und Willen helfen. Denn so ironisch es auch sein mag, Stille ist oftmals mit Aufwand verbunden. So muss der Zustand von Ruhe meist erst aktiv geschaffen werden. Diese Tipps helfen dir dabei, die innere Ruhe zu finden.
Ruhe-Tipp 1 – die Stille der Natur erleben
Ein Spaziergang im Wald fernab von Lärm der Straßen, Schienen und Menschenmassen kann Stress reduzieren und das Gefühl der Erholung verstärken. Das gestaltet sich im urbanen Raum nicht immer so einfach. Verschiedene Formen des Waldbadens können dabei unterstützen.
Ruhe-Tipp 2 – mit Mediation zur inneren Ruhe
Ebenfalls hilfreich beim Ausharren in Stille sind Mediationen. Während du deinem ruhigen Atem lauschst und Gedanken kommen und gehen lässt, ruhst du deinen Geist aus und gibst deinem Körper die notwendige Energie für das alltäglich Leben.
Ruhe-Tipp 3 – ohne Smartphone-Stress zur Erholung
Auch das Ausschalten oder Weglegen des Smartphones kann ein Schlüssel zur aktiven Erholung sein. Während dieser Zeit solltest du darauf achten, sowohl die körperliche als auch akustische Ruhe zu wahren.
Judith liebt das Leben mitten in der Metropole Köln. Ihr Gespür für spannende Storys führt sie regelmäßig zu außergewöhnlichen Themen mit aktuellem Zeitgeist. Schon seit ihrer Kindheit folgt sie ihrer Passion, dem Schreiben; seit zwei Jahren nun auch als Redakteurin. Besonders begeistern sie die Themen Psychologie, DIY und Yoga. Bereiche, über die sie als Online-Redakteurin schreibt und die sie gerne ihrer Freizeit ausübt. Ein Gespür für ästhetische Einrichtung besitzt sie bereits seit ihrem Studium im Bereich Design. Seither entdeckt sie immer wieder neue Design-Innovationen und einzigartige Architekturen, über die sie auf kronendach berichtet.