Häuser, die zusammen mit den Möbeln aus dem Boden sprießen? Und das auch noch in wenigen Tagen? Kein Problem! Pilze erobern als Alleskönner neben der Fashionwelt die Bau- und Möbelwelt.
Das größte Lebewesen der Welt
Mehr als 1.200 Fußballfelder – so groß ist der größte Organismus der Welt: Ein Pilz, der unter der Erde lebt. 2003 entdeckte das Team um die Forscherin Catherine Parks in den Wäldern von Oregon (USA) diesen Pilzgiganten. Der „dunkle Hallimasch“ ist mehrere Ttausend Jahre alt. Sein rasantes Wachstum ist in unserer schnelllebigen Zeit mit mangelnden Ressourcen sehr wertvoll. Grund genug, dass der Pilz über die Fashionwelt hinaus zum beliebten Rohstoff wird: Neben Taschen und Schuhe aus Pilzleder gibt es jetzt auch Lampen, Hocker und ganze Häuser aus Pilzen.
Lebende Architektur im MoMA-Stil
David Benjamin macht es bereits vor. Im Rahmen einer MoMA-Ausstellung schafft der New Yorker Architekt mittels einer Pilztechnik einen Turm, der den Namen „Hy-Fi“ trägt. Möglich wird das in den Laboren der Columbia Universität mithilfe von Ecovative, einer Firma, die mit der Herstellung von hochwertigen Verpackungen aus Getreidehalmen und Pilz, besser gesagt deren Wurzeln, gestartet hat.
Anstelle von Verpackungen kreieren sie gemeinsam für das MoMA-Projekt im selben Verfahren Ziegelsteine, aus denen ein 13 Meter hoher Turm konstruiert wird. Drei Monate bleibt der erste Pilzturm der Welt stehen, dann wird er abgebaut und die Ziegel werden wieder eins mit der Natur. „Wir Architekten bauen ja gerne für die Ewigkeit, mit Stahl und Beton […] Vielleicht ist es besser, dass wir uns Materialien suchen, die nicht Hunderte oder sogar Tausende von Jahren lang in den Deponien sitzen“, sagt Benjamin gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Der Turm ist ein Statement und vielleicht auch ein Werk, das zum ökologischen Umdenken inspiriert.
Myzelium, Wurzel- und Wunderwerk zugleich
Pilz im Haus: Statt einem Problem wird er zur nachhaltigen Lösung, wie nicht nur Benjamin zeigt – dank eines hochkomplexen Wurzelwerks unter der Erde: Myzelium oder Myzel. Es besteht aus einer vernetzten Struktur aus fadenförmigen Pilzzellen, bekannt als Hyphen. Die tiefe Verästlung der Hyphen macht Myzel sehr dicht – und damit zum vielversprechenden Rohstoff im Bauwesen. Das Wurzelgeflecht ist so stabil, dass es zum statisch tragenden Element werden kann. Eine echte und vor allem nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Baumaterialien wie Beton oder Metall, die mit der wachsenden Ressourcenknappheit in der Herstellung zu kämpfen haben. Auch wenn die Belastbarkeit von Myzelium noch nicht mit metallischen oder mineralischen Materialien mithalten kann, ist die formbare Masse in ihrer verarbeitenden Struktur dennoch sehr stabil.
MycoTree – ein Baum aus Pilz
Das beweist auch das wissenschaftliche Projekt „MycoTree“, das unter dem Titel „Beyond Mining – Urban Growth“ von Forschern des Karlsruher Institute of Technology (KIT) und der Block Research Group der ETH Zürich bei der Architektur-Bienale 2017 in Seoul präsentiert wurde. Das baumartige Gebilde besitzt eine selbsttragende Struktur aus Pilzmyzelium. Da das nachhaltige Material im Vergleich zu konventionellen Baumaterialien eine geringere Festigkeit bietet, wurde die Konstruktion mit Hilfe einer dreidimensionalen grafischer Statik entworfen. Die geometrischen Formen helfen dabei, die Druckkräfte optimal auf jedes Element zu verteilen. Neben Myzel besteht der Pilz-Baum zusätzlich aus Bambus. Auch wenn sich Gebäude aus Pilz noch nicht im Bauwesen etabliert haben, sind der MycoTree sowie der Hy-Fi-Turm ein entscheidender Schritt in Richtung nachhaltige Zukunft.
Myzel, Meister des Wachstums
Das pflanzliche Gewebe nimmt sich sowohl dem Gedanken der Nachhaltigkeit als auch unserer schnelllebigen Gesellschaft an. Im richtigen Umfeld kann ein myzeliumgereifter Werkstoff in wenigen Tagen heranwachsen. Das verzweigte Pilzgeflecht ernährt sich von Hanf, Holzspänen und Getreide sowie anderem organischem Abfall, der mit Wasserdampf gereinigt wurde. Luftdicht verpackt verwächst das zerstückelte, mikroskopisch kleine Pilzgewebe mit den Bioresten. Auf dem nahrhaften Boden schaffen es die Pilzpartikel in wenigen Stunden ihre Größe zu verdoppeln. Das Ergebnis nach vier bis sechs Tagen: Die braunen Pilzpartikel sind zu einer schwammähnlichen weißen Masse geworden. Allein mit dieser Wachstumsgeschwindigkeit hat Myzel als Rohstoff das Potenzial für den Massenmarkt. Zur Herstellung von Produkten wie zum Beispiel Stühlen oder Verpackungen wird die Pilzmasse gestückelt in eine Form gegeben, in der sie in wenigen Tagen ganz natürlich in das gewünschte Design wächst. Um den Organismus zu stoppen, wird das Pilz-Produkt anschließend im Ofen bei einer Temperatur um die 93 Grad ausgehärtet. Pilzprodukte, die Belastungen wie das Gewicht eines Erwachsenen standhalten müssen, werden zur zusätzlichen Stabilität gepresst. Am Ende gleicht die Struktur der Pilz-Gegenstände gepresstem Holzspan oder Kork. Der gesamte Prozess erfordert kaum Energie-Aufwand. Ganz im Gegensatz zum Abbau von Mineralien sowie der Zement-Produktion, die jede Menge CO2 freisetzt. Und das Beste: Das aus Kompost gewachsene Produkt ist nach Gebrauch wieder im Garten kompostierbar. Das Biomaterial findet zurück in den Kreislauf der Natur und wird als Nährstoff für die Erde vollständig abgebaut. Dadurch kann auch temporäre Baukunst, zum Beispiel Gebäude für besondere Events, ohne große Bedenken erschaffen werden.
Selbstwachsende Myzel-Möbel
Während sich in der Mode der Pilz als pflanzlicher Leder-Ersatz bereits durchgesetzt hat, ist im Interieurwesen noch Luft nach oben. Dabei wurde vor über 15 Jahren von zwei Amerikanern der Grundstein für Pilzmöbel gelegt. Im Rahmen eines Uni-Projekts entwickelten Eben Bayer und Gavin McIntyre eine Methode, ein kostengünstiges Isolierungsmaterial aus Pilz herzustellen. Direkt nach Studienabschluss im Jahr 2007 gründeten sie ihre gemeinsame Firma „Ecovative“ in New York, die nachhaltige Materialalternativen für Verpackungen, Baustoffen und anderen Produkten auf Myzel-Basis anbietet. Ihr Ansatz: Die Natur schützen und ihre Kräfte nutzen. So schufen sie Pilzschaum, der sich ausgezeichnet als Kunststoff- wie auch Styropor-Ersatz eignet. Zu ihren Kunden zählen immer mehr Designer:innen, die im Sinne der Nachhaltigkeit mit organischen Materialien arbeiten; so auch Sebastian Cox. Während eines Waldspaziergangs erblickte der britische Designer verschlungene Äste, die nur von einem weißlichen Flaum zusammengehalten wurden. Begeistert über die Pilz-Klebekraft versuchte der Designer diese als Werkstoff in seine Arbeiten einfließen zu lassen. Dafür experimentierte er ein Jahr lang mit verschiedenen Pilzsorten, bis er sich für den Zunderschwamm und die Sal-Weide entschied. Sein Engagement war erfolgreich: Mittlerweile stellt er Lampen aus Myzel her. Auch Designerin Danielle Trofe hat bereits vor ein paar Jahren ihre „MushLume Lighting Collection“ herausgebracht. Die Lampen sind handgefertigt und die Schirme zu hundert Prozent aus Myzel herangereift. Auch wenn Pilz-Möbel in der Interieurbranche noch der Minderheit angehören, gibt bereits Hersteller, die sich im Design Myzelium annehmen. So lassen sich bereits Tische, Sitzgelegenheiten und schallschützende Acoustic Panels aus dem Pilz-Rohstoff erwerben. Der große Vorteil der Myzel-Möbel: Die einzelnen Pilz-Elemente brauchen keinerlei Kleber oder Schrauben. Sie können einfach zusammenwachsen.
Naturmöbel zum Wohlfühlen
Warum Möbel aus organischem Material in deine Wohnung gehören? Ganz einfach, sie sind nicht nur ökologisch, sondern auch gut für deine Gesundheit. Und noch mehr: Nachhaltige Möbel aus der Natur haben weitere Vorteile, die das Leben bereichern. Hier kommen fünf nachwachsende Naturmaterialen, die in Form von Möbeln echte Alleskönner sind.
Naturmaterial 1 – Pilz
Er ist besonders schonend für die Umwelt – so weit, so gut. Doch das Pilzgeflecht kann noch mehr. Nachhaltige Möbel aus Pilz können als schallisolierendes Element fungieren und sorgen nebenbei noch für ein besseres Raumklima. Das schnell nachwachsende Material lässt sich durch seine Flexibilität in jede Form bringen. So vielfältig es im Design ist, so gering ist sein Gewicht. Zudem ist es größtenteils wasserabweisend und schwer entflammbar.
Naturmaterial 2 – Kork
Kork verhält sich ähnlich wie Pilz. Neben dem umweltschonenden Aspekt ist der nachwachsende Rohstoff schallisolierend, wasserabweisend, schwer entflammbar und leicht. Auch dieses natürliche Material ist gut fürs Raumklima und zudem antibakteriell und fäulnishemmend. Seine Elastizität eröffnet die Möglichkeit für viele hochwertige Designvarianten.
Naturmaterial 3 – Algen
Eco-Design aus glitschigen Algen? Das geht! Das Material aus dem Meer ist nach der Verarbeitung genauso fest wie Plastik und damit eine echte Alternative zu Kunststoff-Möbeln. Nach der Nutzungsdauer kann das ressourcenschonende Algen-Inventar ohne Probleme biologisch abbaugebaut oder recycelt werden.
Naturmaterial 4 – Bambus
Bambus-Möbel sind gerader voll im Trend und dazu auch noch nachhaltig. Ähnlich wie Pilze gilt auch Bambus als Wachstumswunder. Nebenbei reinigt der natürliche Rohstoff die Luft und sorgt für mehr Sauerstoff im Raum. Die wasserresistenten Möbelstücke sind äußerst langlebig.
Naturmaterial 5 – Moos
Auch wenn Moos-Inventar sich bisher hauptsächlich auf Wand und Decke beschränkt, können Wandpaneele und Lampen aus dem grünen Rohstoff eine echte Wohltat fürs Raumklima sein – besonders in der Stadt. Als Staubfilter kann es die Schadstoffe aus der Luft binden. In großen Räumen lassen Moos-Produkte Schall weichen und tragen zu einer besseren Akustik bei.
Judith liebt das Leben mitten in der Metropole Köln. Ihr Gespür für spannende Storys führt sie regelmäßig zu außergewöhnlichen Themen mit aktuellem Zeitgeist. Schon seit ihrer Kindheit folgt sie ihrer Passion, dem Schreiben; seit zwei Jahren nun auch als Redakteurin. Besonders begeistern sie die Themen Psychologie, DIY und Yoga. Bereiche, über die sie als Online-Redakteurin schreibt und die sie gerne ihrer Freizeit ausübt. Ein Gespür für ästhetische Einrichtung besitzt sie bereits seit ihrem Studium im Bereich Design. Seither entdeckt sie immer wieder neue Design-Innovationen und einzigartige Architekturen, über die sie auf kronendach berichtet.