Sie bringen mehr Grün ins Grau: Vertikale Gärten. Erfunden hat sie Patrick Blanc, der an dieser Idee schon als kleiner Junge arbeitete. Wir erzählen seine Geschichte.
Frankreich in den 60er Jahren: Ein Junge fragt sich, wie er sein Aquarium reinigen kann. Er bekommt eine deutsche Zeitschrift über Aquarien in die Finger, schnappt sich ein Wörterbuch, schafft es, den Artikel zu übersetzen und erfährt, dass es Pflanzen gibt, die das Wasser in seinem Aquarium filtern können. Er experimentiert damit herum und ist so fasziniert von den Pflanzen, die sich in seinem Aquarium vermehren, dass er Jahre später Botanik studiert und eine zündende Idee hat.
So beginnt die Geschichte von Patrick Blanc, dem “Vater der vertikalen Gärten”.
Von der Beobachtung über Trial and Error zum Patent
Vertikale Gärten sind begrünte Wände, die nicht durch Rankpflanzen, sondern mit Pflanzen begrünt werden, die wirklich an der Wand wurzeln. Die Idee dazu kam dem Doktor der Botanik, als er mit 19 Jahren seine erste Studienreise nach Thailand machte und dort Pflanzen untersuchte, die auf anderen Pflanzen wachsen (Aufsitzerpflanzen) und auf weiteren Forschungsreisen auch solche fand, die auf Felsen mit nur einer minimal dünnen Humusschicht leben können. Wenn Pflanzen ohne Erde, nur mit Wasser und Sonnenlicht wachsen können, dann können sie überall wachsen, auch an Wänden, folgerte er.
Die Idee, Wände als Grünflächen zu nutzen, war nicht ganz neu: Schon in den 1930er Jahren hatte der Professor für Landschaftsarchitektur Stanley Hart White sogenannte “Botanical Bricks” (botanische Bausteine) erfunden – bepflanzbare Elemente, mit denen man beliebig in die Höhe bauen konnte. 1938 hatte Hart White seine Erfindung sogar patentieren lassen. Leider kam es für diese wunderbare Idee nie zum großen Durchbruch.
Patrick Blanc knüpfte 50 Jahre später mit viel Pioniergeist und Kreativität daran an. Zurück von seinen Forschungsreisen, experimentierte er in seiner Studentenwohnung mit verschiedenen Materialien. Vom Putzlappen über Kokosfasern bis zur Steinwolle musste als Untergrund für seine Pflanzen schon alles herhalten – vertikal. Da die organischen Unterlagen alle mit der Zeit verrotteten und die Pflanzen dann nicht mehr hielten, kam ihm irgendwann nach vielen Rückschlägen und halb geglückten Versuchen schließlich die zündende Idee: Er begann, Synthetik-Vliese als Pflanzunterlage zu benutzen. Sie haben den Vorteil, dass sie zwischen ihren dünnen Fasern sehr viel Wasser speichern können, ohne dabei zu verrotten. Darüber hinaus sind sie sehr leicht. 1988 meldete Patrick Blanc seine “Vorrichtung für den Anbau von Pflanzen ohne Erde auf einer vertikalen Fläche” zum Patent an.
Eine Technik, so einfach wie genial
Um eine Wand zu begrünen, befestigt Patrick Blanc zuerst ein Metallgerüst an der Wand und bestückt es dann mit Platten aus Hartschaum, auf die er dann das synthetische Vlies spannt – das übrigens aus reycelter Polyamidkleidung hergestellt wird. In kleine Schlitze pflanzt er dann die Setzlinge, die zwischen den vielen Fasern wurzeln können. Wasser und flüssiger Dünger tropfen aus einem Rohr in das Vlies, sodass die Pflanzen Wasser und Nährstoffe daraus aufsaugen können.
Patrick Blanc: “Das Vlies simuliert die dünne Erd- oder Moosschicht, auf der viele Pflanzen wachsen. Ich versuche, das zu kopieren, was es in der Natur gibt. Das einzig Wichtige ist, die richtigen Pflanzenarten auszuwählen. Je nach dem, wo man sich befindet, kann man nicht immer die gleichen Arten verwenden.”
Patrick Blanc plant also jedes Projekt akribisch, studiert die Klimaverhältnisse, entwirft per Hand einen Pflanzplan und wählt unter den mehr als 10.000 Pflanzen aus seinem Fotoarchiv die jeweils passenden aus. Mit jeder seiner vielen Forschungsreisen wächst das Pflanzenarchiv weiter an. In Gegenden mit tropischem oder gemäβigtem Klima können hunderte verschiedener Pflanzenarten in einem vertikalen Garten nebeneinander wachsen. In sehr kalten oder sehr heißen Gebieten reduziert sich die Auswahl auf 50-80 sehr resistente Arten. Mit der richtigen Auswahl sind die Gärten sehr langlebig: Viele hängen schon seit 20, einige sogar seit 30 Jahren an Ort und Stelle.
Vertikale Gärten: Wohlbefinden und Gesundheit
Patrick Blancs vertikale Gärten bringen ein Stück Natur zurück in unsere Betonwüsten. Sie werten jedes Gebäude und damit auch ganze Stadtviertel optisch auf und erhöhen den Wohlfühlfaktor in der Umgebung. Aber sie können noch viel mehr: “Der Pflanzenteppich ist mit der Luft verbunden, dadurch werden organische Feinstaubpartikel direkt von den Pflanzen aufgenommen. Pilze und Mikroorganismen, die an den Pflanzen leben, brechen diese groβen Moleküle auf kleine Moleküle herunter, die dann von den Pflanzen absorbiert werden. Ich habe in Parkhäusern viele solcher Wände aufgebaut und das funktioniert sehr gut”, so der Botaniker. Patrick Blancs grüne Wände sind also Kunstwerk, Wohlfühlelement und biologischer Luftfilter in einem.
Eine Studie des Instituts für Agrar- und Stadtökologische Projekte der Berliner Humboldt-Universität bestätigt das. Demnach binden allein Moose und Gräser pro 1000 Quadratmetern 8,8 Kilo Feinstaub und absorbieren 300 Kilo Kohlendioxid im Jahr. Dach- und Fassadenbegrünungen leisten einen „nennenswerten Beitrag zur Luftreinhaltung“, so die Forscher.
Schritt für Schritt zum Wissenschafts-Künstler
Patrick Blanc wurde vom neugierigen Jungen über den experimendierfreudigen Studenten zum Doktor der Botanik und von da aus zur weltweiten Koryphäe mit exzentrischem Touch – heute nennen ihn viele Pariser “L’homme vert” – den “grünen Mann”, weil er mit seinen grünen Haaren und oft auch Fingernägeln und der grünen Kleidung, meist mit Pflanzenmotiven, selbst an eines seiner Kunstwerke erinnert.
“Ich werde auch als Künstler gesehen, aber ich bin in erster Linie Wissenschaftler”, beschreibt er sich selbst. “Die Künstler haben sich aber noch lange vor den Architekten für meine Arbeit interessiert.”
Internationale Bekanntheit erlangte der damals schon renommierte Wissenschaftler 1994, als er eingeladen wurde, einen vertikalen Garten auf dem Festival International des Jardins (Internationales Gartenfestival) in Chaumont sur Loire vorzustellen. Von da an ging es steil bergauf und weltweit von Grau zu Grün. Inzwischen hängen hunderte seiner Installationen in aller Herren Länder. Dabei begrünt er nicht nur Gebäude renommierter Architekten in luxuriösen Vierteln, sondern schafft auch grüne Oasen in Brennpunkten. Das erste Projekt in Deutschland war 2008 die Fassade des Kaufhauses Galeries Lafayette in Berlin.
Inspiration holt sich Patrick Blanc auf seinen vielen Forschungsreisen in die Urwälder dieser Welt – und zuhause in seinem Büro. Dort hängt schon seit 30 Jahren ein vertikaler Garten an der Wand. Das Wasser dafür pumpt er aus einem riesigen, begehbaren Aquarium die Wand hoch. Von dort tröpfelt es langsam wieder zurück ins Aquarium: Home-Office mit eigenem Biotop, Forschungslabor, Oase und Inspirationsquelle in einem.
5 Tipps für den eigenen vertikalen Garten
Die Methode von Patrick Blanc ist ein wenig zu kompliziert, um sie im DIY-Modus zuhause nachzubauen – aber deswegen muss niemand auf eine schöne, grüne Wand verzichten.
1. Kletterpflanzen
Die einfachste Methode, um an eine grüne Wand zu kommen, sind Kletterpflanzen. Sie beziehen Wasser und Nährstoffe direkt aus dem Boden, sodass man sich um Bewässerungssysteme und Dünger recht wenig Gedanken machen muss. Einige Kletterpflanzen wie Efeu oder Ampelopsis wachsen direkt an der Wand hoch, andere benötigen eine Rankhilfe.
2. Europaletten als vertikale Beete
Wunderschön für kleine Wände, Balkone und auch angelehnt auf dem Boden stehend sind vertikale Minigärten aus alten Europaletten. Sie eignen sich besonders gut für kleinere Pflanzen wie Kräuter oder Blumen. Entferne einfach etwa jedes zweite Brett einer Palette und befestige die entfernten Bretter, wenn nötig, auf der Rückseite auf derselben Höhe wie die verbleibenden Bretter der Vorderseite. Tackere dann Unkrautvlies auf die Rückseite. Danach kannst du Unkrautvlies als Pflanztasche zwischen die Bretter auf Vorder- und Rückseite tackern, mit Erde befüllen, Pflanzen einsetzen und fertig ist das vertikale Beet. Alternativ kannst du auch kleine Blumentöpfe zwischen die Bretter stecken.
3. Rohre upcyceln
Alte Rohre eignen sich hervorragend als Pflanzkästen: Einfach oben Löcher hineinschneiden, an eine Wand hängen, mit Erde befüllen, schöne Hängepflanzen oder leckeren Erdbeeren einpflanzen und fertig ist der grüne Wandschmuck. Mehrere untereinander ergeben eine schöne, grüne Kaskade.
4. Blumenkästen vertikal
Den gleichen Effekt wie die Rohre haben viele übereinander angebrachte Blumenkästen. Richtig bepflanzt, können sie eine ganze Wand verstecken und erinnern an Stanley Hart Whites “Botanical Bricks”. Man kann die Blumenkästen direkt an der Wand befestigen oder solche mit Hängevorrichtung an ein Holzgerüst hängen.
5. Hängepflanzen die Wand hochführen
Eine schöne Indoor-Idee für grüne Wande: Eine Hängepflanze wie z.B. Eufeutute oder Philodendron in einem Topf auf den Boden zu stellen. Wenn die Ranken länger werden, führst du sie mit kleinen Klammern oder Nägelchen die Wand hoch. So kann man wunderschöne grüne Fensterrahmen kreieren oder die Ranken quer über die Wände laufen lassen.
Vera schreibt für uns remote vom Tor zu Patagonien/Chile aus. Dort ist sie als echter Outdoor-Fan genau richtig: Ob im Urwald, auf Lavafeldern oder am Pazifikstrand, Vera hält immer Ausschau nach kleinen Naturschätzen, erstaunlichen Details und kreativen Ideen. Kein Wunder, dass sie bei uns am liebsten über Travel, Nachhaltigkeit und spannende Menschen schreibt.