Bauen mit Secondhand-Materialien? In der Baubranche steht der zirkuläre Gedanke noch an den Anfängen. Es ist Zeit, Recyclinghäuser und zirkuläres Bauen als Selbstverständlichkeit im künftigen Wohnen zu betrachten.
Architektur in Japan – der Trend geht zu Recycling
Wenn es um recycelte Gebäude geht, ist Japan globaler Vorreiter: „Aus Alt mach Neu“ oder genauer gesagt, das Wiederverwenden von Einzelteilen wird dort in ländlichen Gebieten bereits seit dem 19. Jahrhundert praktiziert. Nun soll Secondhand-Architektur auch in den urbanen Räumen Japans mehr Platz erhalten. Die räumliche Beschränkung in den Städten bekräftigt dieses Vorhaben nur: Man arbeitet mit dem, was da ist und verzichtet auf zusätzliche Bebauungen. „Make Do With Now“ ist eine Mentalität, die sich insbesondere unter der jungen Generation der Architekt:innen festigt. Und das ist auch dringend notwendig. Denn: Allein um die 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit lassen sich auf das Bauwesen zurückführen. Recyclinghäuser bieten eine Chance, die nötige Wende in der Baubranche herbeizuführen. Umbauen, Wegnehmen, Wiederverwenden – so lautet der künftige Tenor in der Architektur.
So auch beim SANU 2nd Home Projekt im Umland von Tokio. Die Cabins aus heimischen Holz sollen den gestressten Stadtbewohner:innen als Rückzugsort dienen und folgen in ihrem Bau dem zirkulären Gedanken.
Zirkuläres Bauen der Zukunft
Der Ansatz, Neues aus Secondhand-Materialien zu erschaffen, leitet sich vom Gedanken der „circular economy“ ab: Kreislaufwirtschaft, in der Produkte nach der Nutzung wiederverwendet werden – ob in derselben oder in neuer Form. Damit verlängert sich die Lebensdauer um ein Vielfaches. In der Architektur spricht man vom zirkulären Bauen. Das Ziel ist es, Häuser strategisch klüger zu konstruieren, Müll und CO2-Emissionen zu vermeiden sowie die kontinuierliche Nutzung von Ressourcen zu fördern. Dabei wird auf nachhaltige und langlebige Materialien mit minimalem Wartungsaufwand gesetzt. Baustoffe, die nicht gebraucht sind oder verwertet werden können, sollen dafür biologisch abbaubar sein. Neben dem Wiederverwenden von Bauteilen und Recyceln von Materialien greift ein „circular“ Haus auf erneuerbare Energiequellen zurück. Wie auch Earthships können zirkuläre Bauten etwa über Grauwassersysteme verfügen, in denen verbrauchtes Wasser zum Wässern von Pflanzen oder die Toilettenspülung genutzt wird.
Eine Zukunft, in der Bestandteile von alten Gebäuden in neuen recycelt werden? Ein vielversprechendes Szenario, für das allerdings einiges bedacht werden muss – beginnend bei der Planung. Adaptionsfähigkeit von Baustoffen spielt beim Entwerfen und Einbauen eine große Rolle. Integrierte Teile müssen sich ohne Schaden rückbauen lassen. Dieses Vorhaben erfordert neue Techniken, die genug Stabilität und Sicherheit durch Verwendung von Steck- und Schraubverbindungen statt Verklebung und Zementierung ermöglichen. Welche Methoden sich etablieren und wie genau sich zirkuläres Bauen verdichtet, bleibt abzuwarten. Ein Blick auf das japanische Bauwesen zu werfen, ist sicherlich hilfreich. Aber auch Deutschland macht die ersten Schritte im zirkulären Bauen.
Secondhand-Architektur in Berlin
Seit Dezember 2021 schreibt das Gesetz in Berlin die Wiederverwendung und das Recycling von Baustoffen beim Rückbau öffentlicher Gebäude vor. In diesem Zuge wird auch das „CRCLR Haus“ in Neukölln ins Leben gerufen – eine Art Appell zum nachhaltigen Bauen und sorgsamen Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Statt die alte Lagerhalle auf dem ehemaligen KINDL- Brauerei-Areals abzureißen, wird sie renoviert. Nicht das Erste seiner Art in Deutschland: Seit 2019 existiert ein Recyclinghaus in Hannover-Kronsberg.
Um eine Koexistenz von Co-Working-Space und Wohnraum im CRCLR Haus zu ermöglichen, haben beteiligte Architekt:innen die alte Lagerhalle um zweieinhalb Geschosse aus Holz erweitert. Insgesamt wollen sie 60 Prozent aus zirkulären Bauteilen fertigen, die irgendwann wieder demontiert und erneut eingesetzt werden können. Hierfür sind beispielsweise Holzbalken des Vorgänger-Daches in der Laibung neuer Fenster integriert. Doch der Rückbau der Halle hat sich nicht immer so einfach gestaltet: Für den einmaligen Gebrauch gedacht, haben sich starr verbaute Stoffe wie mit Mörtel verbundene Ziegel nur schlecht heraustrennen lassen. Andere „recyclable“ Baustoffe stammen daher von Abrissen in der Region.
Im Inneren passt sich die Gebäudekonstruktion den Bedürfnissen der Bewohner an. Dank modularen Teilen und reversiblen Verbindungen lassen sich auch in Zukunft dem Leben angepasste Umbauten vornehmen. Immer mit dem Gedanken, Wohnen und den dafür erschaffenen Raum als Prozess zu betrachten. Damit sind auch Materialkreisläufe einhergehend, die im besten Fall eine Ressourcenwende bedeuten.
Start-ups für Secondhand-Materialien
Mit perspektivisch immer mehr Recyclinghäusern muss es auch Anbieter für entsprechendes Material geben. Die ersten Unternehmen haben sich dem zirkulären Gedanken angenommen und bieten Rückbauteile zum Verkauf an.
Concular
Eines davon ist Concular. Nach ihrem Leitsatz „Wir machen nachhaltiges Bauen möglich“ fungieren sie als Vermittlungsplattform für bereits genutzte Bauteile. Dafür setzen sie auf eine digitale Datenbank, die nach der Meinung von Concular Grundvoraussetzung für eine zirkuläre Bauweise ist. Wie auf einer Website für Vintage-Kleidung sind rückgebaute Materialien in ihrem Online-Shop erhältlich. Diese werden vorab geprüft und auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet. Ressourceneffizient und CO2-neutral: Mit der Gründung ihres Unternehmens möchte Concular einen Systemwandel in der Baubranche herbeiführen.
restado
Ähnlich macht es auch das Stuttgarter Start-up restado. Wie auch Concular fungiert ihre Website ebenfalls als Vermittlungsplattform. restados Suchoption ähnelt dabei eBay Kleinanzeigen: Mithilfe einer Filterfunktion kann man gewünschte Baustoffe im lokalen Umkreis finden. Ihre User reichen von Bauunternehmen über Handwerker bis zu Menschen, die ihren persönlichen Traum von Haus verwirklichen möchten.
Im Hinblick auf die begrenzten Ressourcen und steigenden Urbanisierung bestimmen Recyclinghäuser die Zukunft. Das erkennen auch andere Länder: Bis 2030 möchten die Niederlande die Menge neuer Materialien beim Immobilienbau halbieren. Sollte dieses Vorhaben erreicht werden, ist es hoffentlich nur eine Frage der Zeit, bis viele andere Länder diesem Beispiel folgen.
Judith liebt das Leben mitten in der Metropole Köln. Ihr Gespür für spannende Storys führt sie regelmäßig zu außergewöhnlichen Themen mit aktuellem Zeitgeist. Schon seit ihrer Kindheit folgt sie ihrer Passion, dem Schreiben; seit zwei Jahren nun auch als Redakteurin. Besonders begeistern sie die Themen Psychologie, DIY und Yoga. Bereiche, über die sie als Online-Redakteurin schreibt und die sie gerne ihrer Freizeit ausübt. Ein Gespür für ästhetische Einrichtung besitzt sie bereits seit ihrem Studium im Bereich Design. Seither entdeckt sie immer wieder neue Design-Innovationen und einzigartige Architekturen, über die sie auf kronendach berichtet.