Micro Living hat sich schon längst zum Trend entwickelt. Die beiden Architekt:innen Soňa Pohlová und Tomáš Žáček haben das Wohnkonzept neu gedacht.
Die Geschichte von Soňa Pohlová und Tomáš Žáček beginnt mit einer Niederlage: 2009 nahmen die beiden studierten Architekt:innen an einem Designwettbewerb teil. Ihre Aufgabe: ein autarkes, netzunabhängiges, Haus konzipieren. Soňa und Tomáš reichten ein unkonventionelles Design ein: Eine Art Wohnwagen in Ei-Form. Die Jury konnten sie von ihrer Idee nicht überzeugen. Dennoch erregte ihr Ei Aufmerksamkeit. Sie erhielten so viele Anfragen von potenziellen Kund:innen, dass sie sich dazu entschieden, das Projekt weiterzuverfolgen. 100.000 Euro mussten sie auftreiben, um einen ersten Prototypen bauen zu können. Ans Aufgeben haben Soňa und Tomáš oft gedacht. „Wir haben uns mit Investoren getroffen, die von unserer Idee begeistert waren, jedoch nicht investieren wollten, weil es zu dem Zeitpunkt noch kein fertiges Ei gab“, sagt Soňa. Schließlich haben die beiden mitsamt ihrem fünfköpfigen Team ihr eigenes Geld investiert. Mit Erfolg – heute verkaufen sie ihr eiförmiges Haus unter dem Namen ‚Ecocapsule‘.
Die Ecocapsule: Strom und Wasser in Eigenproduktion
Die Ecocapsules von Soňa und Tomáš sind 4,67 Meter lang, 2,2 Meter breit und 2,5 Meter hoch. Ausgestattet sind sie mit allem, was man zum Leben braucht: Es gibt einen Schreibtisch, Schränke, Regale, ein Klappbett und Gepäckschränke. Auch eine Küche sowie Dusche und Toilette befinden sich in dem kleinen Haus. Die gesamte Inneneinrichtung ist in weißen Farbtönen gehalten. Der Korpus der Ecocapsule besteht aus isolierten Glasfaserschalen, die Innenwände sind mit Wabenplatten aus Holzfurnier ausgestattet. Bisher sind die Kapseln für zwei Personen ausgelegt.
Strom gewinnt die Ecocapsule aus Solarzellen und einer ausfahrbaren 750-Watt-Windturbine auf dem Dach. Die besondere Form ihres Hauses haben die beiden nicht ohne Grund gewählt: „Die Ei-Form sieht einzigartig und schön aus, sie erfüllt aber auch einen bestimmten Zweck: Sie speichert am besten Wärme und benötigt dadurch weniger Energie zum Heizen“, erzählt Soňa. Auch die Wasserversorgung wird über die Ei-Form gewährleistet: Das Regenwasser läuft an den Wänden herunter und wird unter der Kapsel aufgefangen. Im Wassertank wird das Regenwasser dann gefiltert. Der Tank kann aber auch mit Wasser aus Flüssen oder Seen gefüllt werden. Laut Soňa und Tomáš kann das Filtersystem 99,98 Prozent des Schmutzes aus dem Wasser entfernen. Somit ist in der Ecocapsule ein Leben unabhängig von der zentralen Strom- und Wasserversorgung möglich.
Die Kapsel hält Temperaturen von minus 15 Grad bis zu plus 40 Grad aus und Windstärken von bis zu 150 km/h.
Ecocapsules: Noch sind die Häuser teuer
Seit 2018 gibt es die Ecocapsules für 79.900 Euro pro Stück zu kaufen, der Anhänger zum Transport kostet noch einmal 5.000 Euro. Dass dieser Preis nicht für jeden erschwinglich ist, ist Soňa und Tomáš bewusst. Perspektivisch hoffen sie, ihr Haus durch eine höhere Produktionsrate für weniger Geld anbieten zu können. „Das Tolle an der Ecocapsule ist, dass sie nicht nur in der Natur eingesetzt werden kann, sondern auch in den Städten, wo die Wohn- und Mietdichte hoch ist“, sagt Tomáš. „Man kann sie auf dem Dach von bestehenden Gebäuden aufstellen, so dass man keinen großen Platz dafür braucht.“ „Die Ecocapsule kann alles sein – ein Haus zum Wohnen, aber auch ein Geschäft, eine medizinische Einrichtung, eine Spielhalle“, fügt Soňa hinzu. Mittlerweile haben die beiden Kapseln an Kund:innen auf der ganzen Welt verkauft, von den USA bis nach Australien.
Für die Häuser in Microgröße ist keine Baugenehmigung erforderlich, je nach Grundstück wird aber eventuell eine Genehmigung des Eigentümers oder der zuständigen Behörde benötigt.
Soňa und Tomáš bieten Gemeinden oder Ferienresorts auch die Möglichkeit, eine Ecocapsule über einen bestimmten Zeitraum zu mieten. So können Interessierte das Leben im autarken Ei-Haus testen. Von 2020 bis 2022 stand eine Kapsel zum Beispiel im Schweizer Bergdorf Guttannen. Und selbst auf 3.000 Metern Höhe im Engelberg Resort auf dem Schweizer Titlisberg war für eine Saison lang eine Kapsel aufgestellt.
Micro Living: Das Wohnkonzept der Zukunft
Mit ihren Ecocapsules bieten Soňa und Tomáš eine neue Form des Micro Living an. Damit ist das Wohnen auf einem Raum bis zu circa 40 Quadratmetern gemeint. Beim Micro Living geht es darum, den Wohnraum auf das Nötigste zu reduzieren. Darunter fallen Tiny Houses, aber auch Apartments, Einfamilienhäuser oder Wohnwägen – und seit 2018 das Ei-Haus aus der Slowakei.
In Ballungsgebieten und Großstädten findet Micro Living überwiegend in kleinen Apartments statt. Sie stellen eine Alternative für bezahlbaren Wohnraum dar. Vor allem bei Studierenden ist diese Art des Wohnens attraktiv. Aber auch Wochenendpendler:innen oder digitale Nomad:innen, die nur für eine bestimmte Zeit in eine Stadt kommen, können von den Mikro-Apartments profitieren.
In Deutschland setzt sich der Verband Micro-Living dafür ein, dass die Bürokratie rund um die Mikroappartements vereinfacht wird, genauso wie der Erwerb von Grundstücken für diese Art des Wohnens. Der Verband zählt aktuell 19 Mitglieder, darunter Unternehmen wie Samsung oder die Deutsche Kreditbank AG.
Autarke Mini-Häuser wie die Ecocapsules kombinieren den Trend Micro Living mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit – und ermöglichen in Zukunft vielleicht ein erschwingliches und unabhängiges Leben da, wo du es dir wünschst. Ob auf dem Dach eines Hochhauses, am Stadtrand oder mitten in der Natur.
Autarkes Micro Living auf Probe: 3 Ideen
Du willst erleben, wie sich der Alltag in einem kleinen autarken Haus anfühlt? An verschiedenen Standorten kannst du autarke Micro-Unterkünfte mieten. Statte doch einmal diesen Micro-Homes einen Besuch ab.
1. Der Louisa Wohnwagon in München
Auf einem Permakultur- und Mehrgenerationenhof in der Nähe von München steht der Louisa Wohnwagon. Strom bekommt das autarke Haus über eine eigene Photovoltaikanlage, außerdem verfügt es über eine Wärmeregulation, Bio-Toilette und eine Grünkläranlage auf dem Dach. Mit dir auf dem Gelände leben Seidenhühner, Kaninchen, Hunde und Katzen. Eine Nacht im autarken Haus kostet 150 Euro.
2. Microliving in der Steiermark
Seit April 2019 steht auf dem Grundstück der Familie Kirchlechner ein 18 Quadratmeter großes autarkes Haus – genauer gesagt ein autarker Wohnwagen. Die Familie Kirchlechner wohnt selbst in einem ökologischen Holzblockhaus mit Lehmputzwänden und Photovoltaik-Anlage, welche auch das Tiny House mit Strom versorgt. Geheizt wird nur mit Holz und durch Sonnenenergie. Hier kannst du mitten in den Bergen der Steiermark schlafen, umgeben von Natur, Rehen und Hirschen. Eine Nacht kostet rund 100 Euro.
3. Für weniger Geld: Wohnwagen selbst bauen
Wer handwerklich begabt ist, kann mit Ingenieur Anno Mentzel den eigenen Wohnwagen auch kurzerhand selbst bauen. Anno hat lange für AirBus gearbeitet, bevor er sich mit seinem Unternehmen „VolksSchrauber“ selbstständig machte. Seitdem bietet er Bausätze und Seminare an, mit denen Interessierte seinen Wohnwagen „AirDrop“ selbst zusammenschrauben können. Der Camper ist rund drei Meter lang und eineinhalb Meter breit, seine Form erinnert an einen Wassertropfen. Er besteht aus rein nachhaltigen Materialien, der Korpus wird aus dem Holz des Blauglockenbaums gebaut. Das Holz ist besonders leicht, weshalb der Camper treibstoffsparender unterwegs sein kann. Innen ist der Camper mit einem Bett, einer Komposttoilette, einer Küche mit Wassertank und Schränken ausgestattet. Dank einer Teelichtheizung bleibt es selbst bei kälteren Temperaturen warm im Wagen. Wie viel du an deinem Wohnwagen schrauben möchtest, kannst du selbst entscheiden – je nach Mitwirkungsgrad kostet der Bausatz zwischen 5.000 Euro und 30.000 Euro. Du kannst den Camper auch erst einmal testweise mieten, bevor du einen Bausatz bestellst. Seine Gewinne steckt Anno in die Entwicklung neuer ökologischer und nachhaltiger mobiler Projekte.
Katrin hat in Berlin Publizistik studiert und schreibt seit drei Jahren als Redakteurin im Lifestyle-Bereich. Wenn sie nicht gerade die weite Welt bereist, übt Katrin Kopfstand auf ihrer Yogamatte, oder ist auf der Suche nach den neuesten Innovationen und Health-Trends. Deshalb schreibt sie bei kronendach für die Rubriken Travel, Mindfulness und Zeitgeist. Nach Feierabend findet man sie meistens mit einer Matcha Latte in der Hand durch die Straßen Hamburgs spazieren.