Der chilenische Architekt Max Núñez Bancalari hat mitten in der Berglandschaft Chiles einen Tropenwald wachsen lassen. Mit seinem Projekt zeigt er, wie Architektur und Innovation neue Räume im Einklang mit der Umgebung schaffen können.
Architekt Max Núñez Bancalari baut im Casa de Vidrio die Tropen nach
In Pirque, einer kleinen Gemeinde rund 20 Kilometer südlich von Santiago de Chile, wächst auf 130 Quadratmetern Fläche ein Tropenwald. Zwischen der Hauptstadt und der halbtrockenen Berglandschaft gedeihen Pflanzen aus dem Amazonas; Farne, Moose, Orchideen, Palmen und kleine tropische Bäume fühlen sich hier trotz des trockenen Klimas wohl. Möglich macht das ein Gewächshaus, das der chilenische Architekt Max Núñez Bancalari 2018 entworfen hat. Er schloss im Jahr 2004 sein Studium der Architektur an der Katholischen Universität von Chile ab, im Jahr 2010 erwarb er seinen Master of Science in Advanced Architectural Design an der Columbia University in New York. Seitdem leitet er sein Architekturbüro Max Núñez Arquitectos.
Casa de Vidrio, auf deutsch „Haus aus Glas“, hat er sein modernes Greenhouse getauft. 2023 wurde es von ArchDaily als „Gebäude des Jahres“ in der Kategorie „Kleiner Maßstab und Installationen“ ausgezeichnet. Das Gewächshaus hat Max für einen Geschäftsmann entworfen, der eine Schwäche für tropische Pflanzen hat. In dessen privatem Garten, besser gesagt Park, gedeihen seither die Tropen Chiles. „Ich liebe Pflanzen, aber so etwas hatte ich noch nie gemacht“, erinnert sich Max. „Wir mussten eine umfassende Studie durchführen, um die notwendigen Bedingungen zu schaffen und einen Raum zu bauen, der auch eine Hauptrolle im Park spielen würde. Es sollte nicht nur funktional sein, sondern auch attraktiv, damit es nicht in einer Ecke vergessen wird: Es sollte ein botanisches Schaufenster werden.“
Casa de Vidrio – eine schwebende Schönheit
Tatsächlich ist das Casa de Vidrio ein Gewächshaus, das schon von Weitem die Blicke auf sich zieht. Auf einem Sockel gebaut, der sich 70 Zentimeter über den Boden erhebt, erweckt es den Eindruck, als würde das Gebäude schweben.
Auf dem schwebenden Fundament ragt ein Stahlrahmen in die Höhe, der zwei aus Glasbausteinen errichtete Gewölbe trägt. Unter diesen Gewölben können die Pflanzen bis zu sechs Meter hoch wachsen. Das Glas dieser Gewölbe ist außen glatt und hat innen eine geriffelte Oberfläche, so wird das Licht gleichmäßig gestreut. Das sorgt dafür, dass die Pflanzen nicht verbrennen, außerdem bilden sich durch die Streifen keine Schatten. So bekommen die Pflanzen den ganzen Tag über Licht und können gleichmäßig wachsen. Die Gewölbe sind zudem in vier Abschnitte geteilt und mit einer elastischen Beschichtung am Stahlrahmen befestigt. So kann das Gebäude Erdbeben standhalten, die in dieser Region Chiles keine Seltenheit sind.
In der Mitte des Gewächshauses treffen sich zwei dünne Säulen und bilden ein umgedrehtes V, das den zentralen Dachbalken trägt. „Ich wollte, dass sich alles leicht anfühlt, so dass man es im Inneren nicht als eine sehr schwere Struktur wahrnimmt“, sagt Max in einem Interview. „Die Idee ist vielmehr, dass die Pflanzen das Dach tragen.“
Die Pflanzen selbst wachsen in einer Art Grube, darum herum verläuft ein rund ein Meter breiter Laufweg, eine Treppe führt zum Garten hinab. Unter dieser Promenade liegen Kanäle verborgen, durch die warme Luft in das Gewächshaus dringt, wenn die Temperatur unter 14 Grad fällt. Fenster an den Ecken öffnen sich, wenn die Innentemperatur 24 Grad übersteigt und Mikrosprinkler versprühen feinen Sprühnebel. All das läuft automatisch ab.
Das Casa de Vidrio als Schaufenster zur Natur
Um die Gewölbe herum zieht sich ein quadratischer Korpus aus Glas. So wirkt das Gewächshaus wie ein Würfel, zwischen dessen Ecken und Kanten die wilde Pflanzenwelt wächst – ein Kontrast, den Max bewusst so gesetzt hat: „Die Idee war, etwas zu schaffen, das mit dem, was darin wächst, interagiert und es herausfordert“, sagt er. „Die Illusion ist die Kontrolle über die Natur – etwas, das man nicht kontrollieren kann.“
Das Glas für den quadratischen Grundriss ist im Gegensatz zum Gewölbe transparent und gibt den Blick auf den Tropenwald ungehindert frei. So wirkt das Gewächshaus wie eine Vitrine im Museum, in die man hineinschauen will, ein Schaufenster, das die Natur einfängt.
In Chile ist das Casa de Vidrio inzwischen eine kleine Berühmtheit, obwohl es für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. „Ich bin beeindruckt von dem Interesse, das das Casa de Vidrio geweckt hat. Ich denke, es ist eine Antwort auf das, was heute in der Welt geschieht. Dieses Gewächshaus ist ein Bauwerk für den reinen Genuss und die Zuneigung zu Pflanzen, etwas, das heute mehr denn je von Bedeutung ist“, sagt Max.
Mit seinem Gewächshaus der etwas anderen Art zeigt er, wie Architektur und Natur Hand in Hand funktionieren können und wie man es mithilfe von innovativen Ideen schafft, neue Räume zu erbauen, die auf ihre Umgebung abgestimmt sind. Auch für ihn war das Projekt etwas ganz Besonderes, denn eigentlich ist Max es gewöhnt, Räume für Menschen zu erschaffen – beim Casa de Vidrio war das anders: „Menschen sind hier nur sporadische Besucher“, sagt er. „Abgesehen von einigen Eingriffen des Gärtners oder des Eigentümers ist dieser Raum meist menschenleer. Es ist ein Haus für Pflanzen.“
Katrin hat in Berlin Publizistik studiert und schreibt seit drei Jahren als Redakteurin im Lifestyle-Bereich. Wenn sie nicht gerade die weite Welt bereist, übt Katrin Kopfstand auf ihrer Yogamatte, oder ist auf der Suche nach den neuesten Innovationen und Health-Trends. Deshalb schreibt sie bei kronendach für die Rubriken Travel, Mindfulness und Zeitgeist. Nach Feierabend findet man sie meistens mit einer Matcha Latte in der Hand durch die Straßen Hamburgs spazieren.