Natürliche Töne dominieren die Laufstege. Was das mit dem Weltgeschehen zu tun hat und worauf du bei deiner nächsten Shopping-Tour achten kannst, erfährst du hier.
Sie feiern ein Fashion-Revival und waren dabei nie wirklich weg: Erdfarben. Vor allem Braun scheint der Farb-Liebling der Designer zu sein. Sattes Kaffeebraun oder cremige Karamelltöne trenden schon seit letzter Saison auf allen Laufstegen, im Streetstyle und fast jedem Insta-Feed. Dass Mode dabei den Zeitgeist spiegelt, ist kein Geheimnis. Was bedeutet es also, Erdfarben zu tragen?
In den 90er Jahren waren Erdfarben schon mal angesagt und eine minimalistische Reaktion auf die grellen Neonfarben der 1980er. Heute sind sie mehr als eine kommerzielle Gegenbewegung: Dass wir gedeckte Erdtöne und natürliche Texturen tragen, ist vielmehr eine Reaktion auf das Weltgeschehen. „Wir leben in einer sehr paradoxen Welt, in der Farben eine andere Bedeutung haben, also noch vor 15 Jahren“, erklärt Pascaline Wilhelm. Die ehemalige Fashion Direktorin einer der größten Modemessen Frankreichs arbeitet heute als Unternehmerin für die internationale Textilindustrie. Da Farben Inhalte transportieren, kann man auch Erdfarben auf verschieden Arten interpretieren:
Zum einen stünden sie für Natürlichkeit und damit für den aktuellen Trend zur Nachhaltigkeit, so die Expertin. „Die Menschen fordern Transparenz und wollen selbst transparent sein. Dazu passen keine phantastischen Elemente oder Glanzeffekte“. In einer Welt voller Fake-News, brauchen sie Dinge, die sich echt anfühlen. Vor allem jungen Leuten sei wichtig, was sie tragen. „Die Jugend will nicht mehr die billige Mode der großen Ketten konsumieren. Der Trend geht zum Lokalen und Minimalistischen, zur Vintage-Mode und Fair-Fashion.
Erdfarben als Statement
Zum anderen seien Erdfarben ein Statement gegen Farbe. Denn das Einfärben der Stoffe verunreinigt weltweit jährlich bis zu neun Billionen Liter Wasser. „Die Farbe der Zukunft wird nicht so schmutzig sein wie heute. Das wird sich natürlich ändern.“ Bis dahin könne man mit ungefärbten Materialien arbeiten, die von Natur aus eine wunderbare Range an Erdtönen mitbrächten, so die Expertin, wie zum Beispiel die Wolle kleiner europäischer Schafherden, die eigentlich wegen ihres Fleisches gezüchtet würden.
Immer mehr Konsumenten reagieren mit ihren Kaufentscheidungen auf die Tatsache, dass die Modebranche zu den umweltschädlichsten Branchen der Welt zählt und für ca. zehn Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. „Es ist dringend notwendig, den Blick auf die Mode und Produktion zu ändern. Die Frage ist: Was müssen wir überhaupt produzieren – in dem Wissen, dass die Ressourcen zur Neige gehen?“ Das treibe auch die neue Generation um: „Sie wollen Mode machen, weil es eine fantastische Welt ist, aber sie wollen sie erneuern und sind dabei wahnsinnig engagiert.“ Auch die Industrie befinde sich im Wandel und suche nach Lösungen. „In die Entwicklung und Innovation rund um das Recycling wird viel Geld gesteckt. Es gibt unglaubliche Ideen. Zudem stehen wir am Anfang der Produktion neuer Materialien – aus Pilzen, biologischen Quellen oder Abfall. Auch beim Färben gibt es viele Innovationen, wie zum Beispiel biobasierte Pigmente.“ Auch deshalb entwickelt die Französin aktuell zusammen mit einer Universität einen Master-Studiengang für Mode und Material „unter dem Aspekt des ökologischen und sozialen Wandels“.
Erdtöne: sicher und warm
Dass die Welt sich wandelt, kann jeder spüren. In unsicheren Zeiten stehen Erdtöne für Sicherheit und Wärme – und hätten daneben noch eine weitere Funktion, erklärt Pascaline Wilhelm: „Braun ist ein guter Freund für andere Farben, man kann ihn sehr gut kombinieren. Die aktuellen Fashion-Farben sind unter anderem von Bildschirmfarben beeinflusst, die immer ein tiefes Rot, Blau oder Orange haben. Braun ist da ein sehr guter Gegenspieler.“
Chaos und Sorgen der Pandemie, die Energiekrise, der Krieg und all die Dinge, die auf der Welt passieren, würden die Art zu leben und zu konsumieren weiter verändern, „doch dass die Menschen sich in Kleidung schön fühlen wollen, wird bleiben. Das durch Innovationen zu ermöglichen, ist Teil unseres Jobs“, lacht Pascaline, und fügt abschließend hinzu: „Das schaffen wir, ich bin da sehr optimistisch!“.
Drei Tipps von Pascaline für nachhaltiges Mode-Shopping:
Tipp 1 – Schau auf den Preis:
„Ein niedriger Preis ist das Synonym für einen respektlosen, wenig nachhaltige Umgang mit Ressourcen und Mitarbeitern während der Produktion“, erklärt Pascaline.
Tipp 2 – Schau aufs Label
Kontrolliere die Zusammensetzung: „Besteht das Kleidungsstück aus mehreren Materialien und Fasern, wird Recycling praktisch unmöglich“, so Pascaline.
Tipp 3 – Schau auf den Fußabdruck
„Heute kann man mit Hilfe von Apps ganz einfach herausfinden, ob das Kleidungsstück während der Produktion zehn Mal um die Welt geschifft wurde“, sagt Pascaline.